Syberia: The World Before im Test: Rettung der angeschlagenen Serie?
In Syberia: The World Before schlüpfen wir nun bereits zum vierten Mal in die Haut von Kate Walker und versuchen diesmal die Geheimnisse der Dana Roze zu ergründen. Ob es Microids nach dem grandiosen Flop des letzten Syberia gelingt, den guten Namen zu retten, klären wir natürlich im Test.
Syberia, the place to be
Als Kate Walker erwachen wir mit kurz geschorenen Haaren in einer miefigen und klammen Zelle in einem Salzbergwerk irgendwo im hintersten Sibirien. Dort sind wir dazu verdammt, seltene Mammutstoßzähne aus dem Stein zu brechen und haben nur eine Spitzhacke und unsere beste Freundin Katyusha Spiridonova an unserer Seite. Bei unserer gefährlichen Arbeit lösen wir einen kleinen Steinschlag aus und finden uns plötzlich in einem Eisenbahntunnel mitsamt verlassenem Zug wieder. Die Gunst der Stunde nutzen wir und versuchen uns an der Flucht aus diesem trostlosen Leben hinter Gittern. Leider verläuft der Ausbruch nicht ohne Zwischenfälle und so entkommen wir nur mit knapper Not. Alleine und nur mit einem Bild in der Hand verschlägt es uns nach Vaghen, einem pittoresken Örtchen im fiktiven Ostertahl, in dem ein Großteil der Story spielt. Fortan versuchen wir nun, Dana Roze, das Mädchen auf dem Gemälde, zu finden und ihre Geschichte zu erforschen.
Die Story von Syberia: The World Before ist meistens nachvollziehbar und lässt uns gerade aufseiten von Dana Roze den immer größer werdenden Einfluss der “Braunen Schatten”, wie die Nationalsozialisten in der alternativen Welt von Syberia heißen, am eigenen Leib spüren. Auf der anderen Seite wirkt die Motivation von Kate Walker, nur aufgrund eines Bildes nach Dana Roze zu suchen, dann doch recht konstruiert. Auch, dass es außer einem kurzen, zusammenfassenden Film keine Erklärung der vorherigen Ereignisse gibt, mindert etwas den Spielfluss.
Oh du schönes Vaghen
Die Atmosphäre ist wohl die größte Stärke fast aller Syberia-Titel, da macht auch Syberia: The World Before keine Ausnahme. Wer dem Charme der fiktiven Jugendstil-Retro-Welt und ihrer Automaten erlegen ist, wird im malerischen Vaghen mit seinen schmalen Gässchen und kleinen Cafés ein neues Zuhause finden. Dennoch kann auch der düstere Teil, der zu Zeiten der Nationalsozialisten spielt und in dem Falle Danas Gegenwart ist, überzeugen und eine glaubwürdige Szenerie der Angst und Verfolgung aufbauen. Einen Großteil des Spielgefühls machen aber dennoch die angenehme Hintergrundmusik, das sehr ruhige Gameplay und die in Sepiafarben getauchten Schauplätze aus.
Schicke Grafik, kleine Schnitzer
Der Ersteindruck der Grafik wirkt in sich stimmig, die Schauplätze sind sehr detailliert und liebevoll ausgebaut und gerade die Automaten und der ikonische Baustil werden gut eingefangen. Jedes Einzelbild ist stilsicher und mit viel Liebe zum Detail beinahe durchkomponiert worden. Sieht man jedoch etwas genauer hin, fallen schon ziemlich verwaschene Texturen, starre Gesichter und die teilweise doch recht unübersichtliche statische Kameraposition auf. Ein großes Kuriosum ist die Performance, da auf einer Geforce RTX 2070 Super gerade mal 70 FPS erzeugt werden. Auch aktuelle Patches konnten dieses Problem bis dato nicht beheben.
Ein Rauschen im Walde
Die entspannte Hintergrundmusik passt sich dynamisch dem Setting an und lässt uns mithilfe des tollen Soundtracks noch stärker in die Welt von Syberia: The World Before eintauchen. Nebenbei sind alle Texte im Deutschen vertont und die Sprecher machen durch die Bank einen sehr ordentlichen Job. Es gibt natürlich noch deutsche Untertitel und die originale englische Sprachausgabe, wenn wir sie denn benötigen.
So muss Point-and-Click
Im Grunde ist Syberia: The World Before ein waschechtes Point-and-Click-Adventure und macht in diesem Aspekt auch fast alles richtig. Klassischerweise ergründen wir durch Anklicken und Begutachten die Welt und finden so immer mehr Geheimnisse heraus. Falls wir einmal völlig auf dem Schlauch stehen sollten, gibt es auch noch eine praktische Hilfefunktion, die uns in drei Schritten zur Seite steht, von groben Hinweisen bis hin zu “Rätsel hab nicht ich gelöst”. Die Knobeleien waren angenehm ausgewogen, könnten aber noch etwas herausfordernder gestaltet sein. In einigen Passagen durften wir sogar für die Lösungsfindung zwischen der Gegenwarts-Kate und der Vergangenheits-Roze hin und her schalten. Dieser Gameplay-Kniff kam sehr überraschend und wurde von den Entwicklern flüssig in das restliche Spiel integriert. Eine andere Innovation ist die Steuerung an sich, in der man durch Ziehen und Halten der linken Maustaste Kate oder Dana den Weg sozusagen vorzeichnet. Das klappte meist auch recht intuitiv, wurde aber gelegentlich zum Frustmoment in Kombination mit der festen Kameraperspektive. In einer Gasthaus-Szene zum Beispiel müssen wir Dana als Wirtin durch den Raum bugsieren, aufgrund der festen Kameraposition war es dann aber schwierig, etwaige Hindernisse auf ihrem Weg zu sehen und so blieben wir ein ums andere Mal an unsichtbaren Gegenständen hängen. Teilweise transparent werdende Objekte, die in der Kameraperspektive stehen, hätten hier sicherlich Abhilfe schaffen können.
Fazit
Ich hatte schon befürchtet, dass sich eine meiner Lieblingsserien nach dem enttäuschenden dritten Teil völlig sang und klanglos von der Bildfläche verabschiedet. Aber mit Syberia: The World Before ist es den Entwicklern von Microids gelungen, ein durchaus kompetentes Point-and-Click-Adventure auf die Beine zu stellen. Das Spiel hat zwar hier und da grafische Aussetzer, die Steuerung könnte doch noch etwas runder ausfallen und die Story ist gelegentlich dann doch etwas zu abwegig. Aber was die Atmosphäre angeht, macht Syberia: The World Before keiner etwas vor. Und unterm Strich ist es genau das, was ich mir als Syberia-Fan gewünscht habe.
- Tolle Atmosphäre
- Nette Grafik
- Mitreißender Soundtrack
- Zwei spielbare Zeitlinien
- Angenehme Rätselpassagen
- Grafische Patzer
- Teilweise merkwürdige Story-Entscheidungen
- Kamera immer wieder unübersichtlich
- Allgemeine Performance schwach
Passionierter PC und Konsolenspieler. Fokus liegt auf Einzelspielererlebnissen