art of rally im Test: Die Kunst, schnell zu fahren
Rally fahren ist Kunst. Mit dieser simplen Prämisse möchte uns Entwickler Funselector ein etwas anderes Rennspiel näherbringen, dass im Gegensatz zum gerade veröffentlichten WRC 10 nicht auf Realismus setzt, sondern sich vielmehr in einem optisch vielversprechenden Indie-Gewand präsentiert. Natürlich haben wir für euch erneut die Rennhandschuhe übergestülpt und zeigen euch im Test, ob art of rally nicht nur mit außergewöhnlicher Optik, sondern auch mit Inhalt punkten kann.
Die goldenen Jahre
art of rally setzt seinen Fokus auf die goldenen Jahre des Rallysports, beginnend mit den 1970ern über die legendäre Gruppe B bis hin zur Gruppe A, die in den 90er-Jahren die Grundlage für die heutigen WRC-Boliden legte. Doch art of rally begnügt sich nicht nur damit Geschichte nachzuerzählen. Denn in der Welt des Spiels kommt auch die Gruppe S vor, die eigentlich die bereits extrem überzüchteten Rally-Monster der Gruppe B Mitte der 80er-Jahre ablösen sollte.
Damals war der eigentliche Plan, auf komplette Prototypen umzusteigen, welche quasi keine Serienvorlage mehr hatten und nur noch für kompromisslose Geschwindigkeit konzipiert worden waren. Nach einigen schweren Unfällen in der Ära der Gruppe B wurde diese Klasse zwar niemals eingeführt, die Prototypen und Testträger von einst sind aber dennoch gern gesehene Gäste bei diversen historischen Veranstaltungen oder einschlägigen Fachmagazinen.
Nun haben wir die Gelegenheit, solche Boliden auch selbst einmal zu bewegen. Zum ohnehin prall gefüllten Fuhrpark von art of rally gesellen sich zudem noch einige Bonusfahrzeuge wie Servicebusse, ein motorisiertes Dreirad oder ein Holztransporter.
Auf eine offizielle Lizenz müssen wir allerdings verzichten. So wurden in art of rally keine Originalnamen der Fahrzeuge verwendet. Stattdessen bedient man sich bei kuriosen Fantasienamen, die oft einfach nur die umgedrehte Typenbezeichnung beinhalten, manchmal aber auch etwas humorvoll daherkommen. So heißen die eindeutig als Audi-Modelle erkennbaren Boliden schlicht Das Hammer, oder der Mini Cooper kommt als Meanie daher.
Dem geneigten Rally-Fan kommt dennoch so ziemlich jedes Modell auf den ersten Blick bekannt vor, weswegen wir hier der Einfachheit halber von den realen Vorbildern der Fahrzeuge ausgehen. Neben den Gruppe B-Monstern finden sich auch Klassiker wie der Renault Alpine, der Subaru Impreza oder der Alfa Romeo GTV6 im Spiel.
Natürlich kommen auch alle unterschiedlichen Antriebsformen vor, die im Rallysport Verwendung gefunden haben. Während in den 70ern und frühen 80ern noch Heckantriebe eingesetzt wurden, erfolgte mit Einführung des Audi Quattro der Umstieg auf Allradantrieb, der bis heute der Standard ist.
3…2…1… LOS!
Obwohl art of rally in seinem Fahrgefühl eher arcadig ausgelegt ist, steuern sich die einzelnen Fahrzeuge alle leicht unterschiedlich. Während die überstarken heckangetriebenen Fahrzeuge vom Schlage eines Lancia Stratos oder eines Ferrari 288 GTO durchaus etwas nervös zu steuern sind, schiebt der Allradler Lancia Delta S4 mehr über die Vorderräder und muss in einen Drift gezwungen werden, wo man ihn dann aber sehr gut mit dem Gaspedal steuern kann.
Einstellen dürfen wir im Spiel nur Fahrhilfen und Eingabefunktionen wie die Reaktion der Gas- und Bremsannahme über den Controller. Setups der Wagen, die wir verändern können, suchen wir leider vergeblich.
Die Steuerung der Wagen macht dennoch richtig Spaß, und nach einer kurzen Eingewöhnungszeit gelingen uns schon richtig schöne Drifts und Handbremsmanöver bei 90-Grad-Kehren. Ein Selbstläufer ist das Spiel allerdings nicht. Obwohl die Pisten im Spiel allesamt außerordentlich breit sind, kann man auch gerne mal einen Baum oder einen Felsen streifen. So anspruchsvoll wie WRC 10, bei dem die Strecken teilweise gerade mal so breit wie das eigene Auto sind, ist art of rally allerdings nicht.
Immerhin haben wir stets die Wahl, wie wir das Spiel erleben wollen. Mit aktivierten Fahrhilfen und leichtestem Schwierigkeitsgrad gelingt es uns mühelos, auch auf kurzen Etappen Abstände von mehreren Minuten herauszufahren, während wir auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad schon zaubern müssen, um an den Gegnern dran zu bleiben.
Gewöhnen mussten wir uns an die Kameraperspektive des Spiels. Zwar gibt es acht unterschiedliche Varianten, allesamt sind allerdings entfernte Vogelperspektiven hinter oder über dem Auto. Das sorgt für eine enorme Weitsicht, was teils wirklich schöne Panoramen auf den Bildschirm zaubert, ist aber für Puristen, die gerne aus der Cockpitperspektive spielen, eine deutliche Umstellung.
Aufgrund der enormen Weitsicht verzichtet art of rally auf die Ansagen des Beifahrers, die an manchen Stellen wirklich sinnvoll wären. Für ein Spiel, welches den Fokus auf den Rallysport legt, ist der fehlende Aufschrieb des Beifahrers aber schon irgendwo ein Manko, denn er kostet etwas von der typischen Atmosphäre.
Dafür unterhält uns der gelungene Soundtrack, welcher auf elektronische Musik setzt, die aber sehr gut zum Spiel passt. Ebenfalls außerordentlich gut gelungen sind die unterschiedlichen Motorensounds, denn jedes Fahrzeug hat einen anderen, signifikanten Klang. Der Wankelmotor der Mazdas klingt beispielsweise deutlich anders als der Fünfzylinder der Quattros. Bei allen Motoren hört man aber gern zu, und es macht wirklich einen Heidenspaß, bei den Rennwagen die Gänge durch zu knallen, während man mit 130 km/h durch einen Wald heizt.
Durch die Geschichte
Herzstück von art of rally ist der Karrieremodus. Hier reisen wir einmal quer durch die Geschichte, wie gesagt beginnend in den 1970er-Jahren. Ähnlich wie der Jubiläumsmodus in WRC 10 versteht sich art of rally also als eine fahrende Geschichtsstunde. Das beginnt bereits mit der Eingabe der Blutgruppe, welche von uns zu Beginn des Spiels abgefragt wird. Warum das so ist? Nun, früher führten die Rallys teils noch über Tausende von Kilometern durch dünn besiedeltes Gebiet. Im Falle eines schweren Unfalls konnte somit schneller eine eventuell nötige Bluttransfusion vorgenommen werden, als wenn man erst noch die Blutgruppe von Fahrer oder Beifahrer hätte bestimmen müssen. Ein nettes Detail für zusätzliche Atmosphäre.
Aufgrund der fehlenden Lizenz kommt es abseits der Gruppe S zu weiteren kleineren Ungereimtheiten, die allerdings nur Puristen stören dürften. So können wir beispielsweise einen Ford Sierra Cosworth bereits vor der Gruppe B Ende der 70er bewegen, obwohl dieser eigentlich erst 1985 entwickelt wurde.
Für jedes Jahr müssen wir im Spiel mindestens eine Rally bewältigen, welche sich aus mehreren Etappen zusammensetzt. Je weiter wir kommen, desto länger werden die Veranstaltungen. Der Karrieremodus allein sorgt bereits für einige Stunden Spielzeit, zumal wir hier auch mit jedem Spieljahr neue Fahrzeuge und Lackierungen freischalten. Das motiviert auf jeden Fall dranzubleiben.
Zusätzlich gibt es noch den Modus Freie Fahrt, welcher uns sehr gefallen hat. Hier steht uns für jedes Land eine frei befahrbare Welt zur Verfügung, in der wir neben Kassetten und Aussichtspunkten auch die Buchstaben für das Wort RALLY zusammensuchen sollen, mit denen wir den nächsten Abschnitt freischalten. Das alles erinnert an Forza Horizon und macht wirklich Spaß.
Daneben gibt es natürlich noch die obligatorischen Modi Zeitrennen und Einzelrally. Im Online-Bereich erwarten uns dann noch Herausforderungen, wo wir die Zeiten anderer Spieler schlagen können.
Einen echten Mehrspielermodus bietet art of rally allerdings nicht. Es ist als reines Singleplayer-Spiel konzipiert, dementsprechend fehlen sowohl Online-Multiplayer, als auch Splitscreen oder Hot-Seat-Modus. Das ist eigentlich ziemlich schade, denn aufgrund des eingängigen Gameplays und der großen Fahrzeugauswahl wären solche Modi durchaus unterhaltsam gewesen.
Dem Sonnenuntergang entgegen
art of rally setzt wie bereits erwähnt auf eine sehr außergewöhnliche Optik, die an Indie-Abenteuer wie The Witness oder Rime erinnert. Das sieht natürlich nicht realistisch aus, aber soll es ja auch nicht. Die Fahrzeuge sind trotz der einfachen Darstellung immer klar zu erkennen, zudem sorgen nette Details wie glühende Bremsscheiben und gewaltige Auspuffflammen für die richtige Rally-Atmosphäre.
Auch die Umgebungen wissen zu überzeugen. Insgesamt sechs unterschiedliche Länder mit vielen verschiedenen Wertungsprüfungen lassen sich befahren. Neben Sardinien, Kenia, Japan, Norwegen und Finnland ist auch Deutschland Teil des Spiels. Alle Länder sind stimmungsvoll umgesetzt,bieten unterschiedliche Straßenbeläge und sind thematisch klar voneinander getrennt. In Kenia beispielsweise stehen unzählige afrikanische Tiere in der Landschaft, während in Japan viele blühende Kirschblütenbäume für wunderschöne Panoramen sorgen.
Deutschland bietet mit die herausforderndsten Stages, säumen doch die berühmt berüchtigten Hinkelsteine der Panzerplatte so manchen Etappenabschnitt. An denen bleibt man wirklich gerne hängen, trotz der enormen Straßenbreite, was ein recht präzises Fahren erforderlich macht.
Apropos Panzerplatte: Während zum Beispiel in Finnland diverse Holztransporter am Wegesrand stehen, sind es in Deutschland Panzer und Militärfahrzeuge. Manchmal hatten wir den Eindruck, als herrsche hier gerade ein Bürgerkrieg, während wir eine Rally fahren wollen. Da haben die Entwickler den Begriff Panzerplatte wohl etwas zu wörtlich genommen.
Sämtliche Stages lassen sich zu unterschiedlichen Tageszeiten befahren, dazu gesellen sich Regen / Schnee und Nebel als Witterungsbedingungen. Gerade am Abend ist die Lichtstimmung des Spiels wirklich hervorragend getroffen. Die untergehende Sonne zaubert Lichtstrahlen durch die Bäume, während wir über toll designte Strecken, vorbei an Dörfern, Küsten und Leuchttürmen düsen. Mehr als einmal wechselten wir hier in den Fotomodus, den wir glücklicherweise jederzeit aufrufen können. In diesen Momenten ist art of rally wirklich ein Kunstwerk und wunderschön.
Für zusätzliche Stimmung sorgen zudem einige animierte Objekte wie Seilbahnen und Windkraftanlagen. Und natürlich die Zuschauer, die zwar ziemlich minimalistisch als Striche dargestellt werden und so auch direkt aus Minecraft oder Pong stammen könnten, aber dafür immer schön am Jubeln sind und unserem heranfliegenden Wagen stets im letzten Moment Platz machen, sodass es nie zu einer Kollision mit ihnen kommen kann.
Nachts sorgen die Scheinwerfer unseres Wagens dafür, dass wir den richtigen Weg finden. Sämtliche Hindernisse auf unserem Weg, einschließlich der Zuschauer, werfen dabei realistische Schatten. Auch dieser Effekt ist absolut gelungen. Daran könnten sich einige andere Entwickler durchaus mal eine Scheibe abschneiden.
Leider trüben Pop-ups am Horizont etwas das gute technische Gesamtbild, welche bei der enormen Fernsicht, die art of rally aufgrund seiner Kameraperspektiven nun einmal mitbringt, natürlich deutlich mehr auffallen. Zudem hatten wir in unserer Testversion mit einigen Spielabstürzen zu tun, die aber glücklicherweise aufgrund des absolut fairen Speichersystems nach jeder Prüfung und der moderaten Ladezeiten nicht allzu sehr ins Gewicht fallen.
Fazit
art of rally ist wirklich ein kleines Kunstwerk. Das Spiel unterhält mit einer großen Auswahl an leider nicht lizenzierten, dafür aber dennoch eindeutig identifizierbaren Fahrzeugen und tollen Strecken in sechs unterschiedlichen Ländern. Dank der großartigen Beleuchtung im Spiel zaubert art of rally, gerade in den Abschnitten am Abend, wunderschöne Panoramen auf den Bildschirm.
Der große Umfang des Spiels unterhält über einen längeren Zeitraum, auch wenn nach Ende des Karrieremodus und dem Erfüllen aller Zielen im Freie Fahrt-Modus etwas die Luft raus ist. Bis dahin wurden wir aber wirklich gut unterhalten. art of rally ist somit eine Empfehlung für alle Fans des Rallysports und solchen, die es noch werden wollen.
- Großer Umfang an Fahrzeugen
- Frische, ungewöhnliche Optik, gerade für ein Rennspiel
- Schön gestaltete Stages mit teils wunderschönen Panoramen
- Griffiges, arcadiges Fahrgefühl
- Moderate Ladezeiten (PS 4)
- Keine Beifahreransagen
- Kein Mehrspielermodus
- Pop-ups am Horizont
- Teilweise Abstürze in der Testversion
Seit dem ersten Gameboy begeisterter Konsolenzocker. Neben Rennspielen, Action-Adventures und JRPGs sind auch Indie-Perlen gerne im Laufwerk gesehen. Zu den Lieblingsspielen gehören GTA Vice City, Metal Gear Solid, Overboard, Ys VIII, die Uncharted- und Forza-Horizon-Reihe sowie Gran Turismo 7.