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Review

Carto im Test: Kartenlesen leicht gemacht

Von Simone Jung am 13. November 2020. Getestet auf PS4. Zum Spiel hier klicken.

Hach, da hat man extra noch auf die Karte geschaut und dann ist in der Realität ja doch wieder alles anders. Wie schön wäre es jetzt, wenn man die nervige Baustelle einfach entfernen oder die letzte Abzweigung schnell wieder vor sich einsetzen könnte, damit es ohne Umweg zügig weiter geht… Mit dem Puzzle Adventure Carto bietet das Entwicklerstudio Sunhead Games nun die Möglichkeit, genau so etwas einmal zu tun. Ob die dynamische Kartografie aber auch flüssig zum Ziel führt, zeigt euch unser Test.

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Hoch über den Wolken…

…da muss die Freiheit wohl grenzenlos sein! Ja, genau so etwas denkt sich unsere namensgebende Heldin, das kleine, muntere Mädchen Carto, sicherlich, als sie zu Beginn unserer Geschichte in einem Luftschiff sitzt und überaus fasziniert den Worten ihrer Oma lauscht. Als geübte Navigatorin und Kartografin weiß Oma aber auch absolut Erstaunliches zu berichten. Sie erklärt ihrer Enkelin, dass die vor ihnen liegende Landkarte kein fixes Abbild der Welt darstellt, sondern sich in einem ständigen Wandel befindet – und die Welt mit ihr. Zur Demonstration reißt Oma geschwind einfach einen Teil der Karte ab und versetzt es ein Stück. Ein Blick aus dem Fenster ihres mobilen Ausgucks zeigt dem total verblüfften Kind, dass weit unter ihnen haargenau dasselbe passiert: Die Landschaft verschiebt sich tatsächlich gleichermaßen zu der geänderten Darstellung auf der Karte!

Natürlich ist Carto von dieser sensationellen Entdeckung auch später immer noch so gefesselt, dass sie prompt die Gunst der Stunde nutzt, als Oma kurz einnickt, um sich selbst einmal an dieser beeindruckenden Art der Kartografie zu versuchen. Dumm nur, dass sie dabei ausgerechnet ein heftiges Gewitter erwischt und dieses zu nah an ihr Luftschiff heranbringt. Ehe sie sich versieht, eskaliert die Situation, bei der auch ein beherztes Eingreifen der aufgeschreckten Oma nicht mehr verhindern kann, dass das Mädchen samt der magischen Karte aus dem Fenster geweht wird.

Als unsere Protagonistin wieder zu sich kommt, findet sie sich alleine irgendwo auf einer Insel wieder. Glücklicherweise ist sie unverletzt, doch von dem Luftschiff und ihrer Oma ist weit und breit nichts mehr zu sehen. Zudem hilft ihr die Karte auch nur noch bedingt weiter, denn diese ist beim Absturz in mehrere Einzelteile zerrissen und vom Sturm in alle Richtungen verteilt worden. Doch Trübsal blasen bringt ja nichts und so macht sich Carto mit dem verbliebenen Teil der Karte und ihrer neugewonnenen, kartografischen Fähigkeit zuversichtlich auf, um ihre Oma wiederzufinden…

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Ich mach‘ mir die Welt, widewide, wie sie mir gefällt

Das Herzstück des Spiels bildet unverkennbar das außergewöhnliche Können von Carto. Um im Spiel voran zukommen, müssen wir nämlich immer wieder die Karte zücken und uns ähnlich wie bei dem Brettspielklassiker „Das verrückte Labyrinth“ an der wandlungsfähigen Kartografie versuchen, um uns somit neue Wege aufzudecken.

Unsere Umgebungskarte besteht dabei aus mehreren Vierecken, die sich entfernen und an anderer Stelle neu ansetzen lassen, was sich umgehend auf unsere Umgebung auswirkt. Wie bei einem Puzzle so üblich lassen sich die Kartenstücke selbstverständlich noch drehen und wir dürfen auch die optischen Aspekte keinesfalls vernachlässigen. Ein Kartenstück lässt sich nur mit einem anderen fixieren, wenn dort ebenfalls derselbe Geländetyp abgebildet ist. Zum Beispiel entsteht, egal wie sehr wir es auch probieren, keine Verbindung zwischen den Teilen, wenn wir versuchen die Wasserkante des ersten Stücks direkt an die Graskante des zweiten anzusetzen, sondern erst dann, wenn wir das an dessen Wasserkante tun.

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Natürlich besteht die Intension des Spiels aber in keinem wahllosen Aneinanderreihen von Teilen nach dem Geländetyp. Um das Abenteuer erfolgreich zu bestreiten, müssen wir stattdessen verschiedene Rätsel lösen. Hierzu ist es mehr als ratsam in der kompletten Umgebung Augen und Ohren offen zu halten, da die entsprechenden Lösungshinweise sowohl in der Landschaft als auch in den Gesprächen mit den anderen Charakteren versteckt sind. Hierüber leiten wir also die notwendige Anordnung der Kartenteile und somit den Umbau der Landschaft ab, damit wir anschließend im nächsten Abschnitt weiter tätig werden können. So sollen wir beispielsweise die Hecken zusammenfassen,  um ein vermisstes Schaf zu finden, damit uns danach wiederum der Schäfer hilft, oder auch mal schlicht eine gerade Wegstrecke bilden und dieser folgen. Beim Durchkämmen der Gegend oder durch das Lösen der Puzzleaufgaben finden wir zudem weitere Teile der Karte, die sich dann natürlich für das nächste Rätsel ebenfalls wunderbar verwenden lassen.

Die Rätsel selbst sind in einem angemessenen Schwierigkeitsgrad gehalten. Sie sind nicht zu leicht, sodass wir keinesfalls total gelangweilt durch das Spiel preschen, sondern unsere kleinen, grauen Zellen tatsächlich ein bisschen anstrengen müssen. Sie sind wiederum aber auch nicht so schwer, als dass wir ernsthaft verzweifeln würden – auch wenn sich manches Rätsel doch erstmal als kleine Kopfnuss entpuppt. Oftmals hängt das schlicht noch an der richtigen Anordnung der Kartenteile, obwohl wir in Grundzügen längst verstanden haben, welche Lösung von uns denn gefordert ist.

Die Puzzle-Umsetzung hingegen ist durchgängig einfach und intuitiv gestaltet. Da in Carto keinerlei Kämpfe ausgetragen werden, wartet das Spiel generell mit einer schlanken Steuerung auf, die sich wirklich gut in den Rätselspaß einfügt, ohne diesen zu verkomplizieren oder davon abzulenken. Durch die Spielumgebung laufen wir lediglich durch, ohne Sprünge oder ähnliches absolvieren zu müssen, und interagieren an besonderen Stellen mit Personen oder Gegenständen per simplen Tastendruck. Auf der Karte wiederum wählen wir zunächst ein Kartenteil aus, das wir anschließend drehen oder verschieben können, dann aber erst ablegen müssen, bevor wir uns ein anderes vornehmen können.

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Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Schon das Intro des Spiels ist passend zu unserer jungen Heldin in einem kindlichen Zeichenstil gehalten, der etwas an den PS-Vita-Klassiker Tearaway erinnert und sich im gesamten Spiel wiederfindet. Wie bei einem Comic wird uns nur mithilfe von wenigen, teils bewegten Bildern zunächst Cartos Begeisterung und dann ihre unverhoffte Verstrickung in das Unwetter auf charmante Weise vermittelt. Auch spätere, kurze Illustrationen zwischen den einzelnen Kapiteln bleiben dieser Erzählweise treu.

Die Spielwelt steht dieser Darstellung selbstredend in nichts nach und so blicken wir, ähnlich wie die Oma aus ihrem Luftschiff, aus einer isometrischen Perspektive auf eine bunte 2D-Umgebung hinunter. Die unterschiedlichen Gebiete, die unsere Protagonistin im Rahmen der Story bereist, sind dabei mit charakteristischen Aspekten wunderschön und stimmungsvoll gestaltet und bleiben auch in etwas dunkleren Gefilden immer noch heiter. Ein harmonischer Soundtrack ergänzt die fröhliche Grundstimmung schließlich noch mühelos.

Auch das Charakterdesign fügt sich in die beschwingte, lebensfrohe Atmosphäre nahtlos ein. Sowohl Carto selbst als auch die hiesigen Bewohner, die sie auf ihrem Abenteuer trifft, sind nämlich wirklich niedlich dargestellt. Mit Hilfe einer comicartigen und knuffigen Stilisierung zeigen sie zudem ohne große Mühe eine ganze Palette von Gefühlsregungen glaubwürdig auf – wobei von treu-doof bis panisch nahezu alles dabei ist.

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Zahlreiche Sprechblasen ergänzen den Comic-Look schließlich noch spielend. Dabei nehmen die Bildschirmtexte, die in verschiedenen Sprachen zur Verfügung stehen, aber nie Überhand. Insbesondere unsere Heldin ist sowieso eher schweigsam unterwegs, wie durchaus auch einmal mit einem kleinen Augenzwinkern angemerkt wird. Eine Sprachausgabe sucht man allerdings vergebens. Dies mag dem einen oder anderen vielleicht etwas sauer aufstoßen, hat uns aber nicht gestört, da es den Spielfluss keineswegs hemmt und die ausschließliche Verwendung von Texten zudem zu der angenehm harmonischen und ruhigen Atmosphäre passt.

Die eher fröhlich-beschauliche Stimmung findet sich auch in der kompletten Story wieder. Obwohl ja der Beginn des Spiels für so ein kleines Mädchen schon ziemlich erschreckend sein könnte, bleibt Carto durchweg erstaunlich optimistisch und vergnügt – was aber vielleicht auch in der Familie liegt, denn ihre Oma ist ebenfalls sehr gechillt unterwegs, dafür dass ihre Enkelin gerade aus guter Höhe aus dem Fenster gestürzt und verloren gegangen ist. Zwar sucht sie selbstverständlich nach ihr, aber in ihren Briefen, die sie als Hinweise für ihr Enkelkind hier und da verstreut, um so das Wiederfinden zu beschleunigen, klingt sie ja nicht gerade übermäßig besorgt. Aber auch die teils schillernden Persönlichkeiten, die unsere Heldin auf ihrem Weg trifft, wundern sich nur kurz darüber, dass das Mädchen vollkommen alleine unterwegs ist, bevor sie es schließlich, wie gerne üblich, um teils kuriose Gefälligkeiten bitten oder einfach weiter schicken. Aber natürlich stört sich Carto überhaupt nicht daran, weil ihr die Erforschung der Umgebung auf der Suche nach der Oma ja prima in die Karten spielt.

Die Story erfindet allerdings trotz lustiger und/oder skurriler Anliegen oder Traditionen das Geschichtenrad nicht neu und ist erwartungsgemäß mit ca. 6 – 8 Spielstunden auch schon recht überschaubar, da es sich ja um ein Indie-Spiel handelt. Dennoch tut es dem Spiel keinen Abbruch, zumal es durchaus auch einen Wiederspielwert besitzt. Abseits der Haupträtsel gibt es nämlich noch einen Bonus zu ergattern, welcher sich passend zu einem Puzzle Adventure über mehrere Puzzleteile zu einem Bild zusammensetzt. Hat man beim ersten Durchlauf noch nicht alle Teile entdeckt, gibt es nach Abschluss des Spiels per Kapitelwahl die Möglichkeit einzelne Abschnitte nochmals gezielt danach zu durchkämmen.

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Fazit

Carto ist ein ruhiges, stressfreies Spiel, das aber keineswegs einschläfernd oder langweilig ist. Der Schwerpunkt liegt nicht in gewaltigen Gefechten, sondern in einem außergewöhnlichen, in angenehmem Maße fordernden Rätselspaß mit genialer Grundidee. Das fesselnde Spielkonzept ist in eine wirklich süß gestaltete Geschichte integriert, deren niedliche Zeichenoptik, harmonischer Soundtrack und unterhaltsame Charaktere für eine stimmungsvolle und lebendige Atmosphäre sorgen. Auch wenn es etwas schade ist, dass das Spiel eine eher kurze Spieldauer hat, ist Carto definitiv eine richtige Empfehlung.

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Pro:
  • Außergewöhnliches Spielkonzept
  • Fordernder aber nicht überfordernder Rätselspaß
  • Süße Zeichenoptik
  • Harmonischer Soundtrack
  • Unterhaltsame Charaktere mit teils kuriosen Geschichten
Contra:
  • Keine Sprachausgabe
  • Keine umfangreiche Story
Story:
4 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Gameplay:
5 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Grafik:
5 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Sound:
5 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Atmosphäre:
5 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Unsere Wertung: 9.5 / 10
TestingBuddies Award Silber
Spiel getestet auf: PS4
Simone Jung

Simone Jung

Konsolenzockerin seit der Kindheit, bevorzugt auf der PlayStation. Zu den Lieblingsspielreihen gehören Grandia, Project Zero, Tomb Raider, Uncharted und Tekken, aber es finden auch gerne mal Indie-Titel den Weg auf den Bildschirm.

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