Farewell North im Test: Eine emotionale Reise in die Highlands
Auf in den hohen Norden. In Farewell North zieht es uns zusammen mit der jungen Frau Cailey und ihrem ebenso treuen wie klugen Hund Chesley nach Schottland. Zusammen durchleben die beiden Protagonisten dabei nochmals sowohl schöne als auch traurige Momente ihres Lebens, während sie eine stimmungsvolle Spielwelt voller malerischer, fiktiver Inseln erkunden.
Nach einer rund vierjährigen Entwicklungszeit erschien das nahezu als Ein-Mann-Projekt realisierte Farewell North dabei bereits 2023 für Steam. Nun hat das Indie-Casual-Game den Weg auf die gängigen Konsolenplattformen geschafft und möchte uns auf eine Reise durch die schottische Inselwelt mitnehmen. Haben sich die vier Jahre Entwicklungszeit gelohnt? Und wie schlägt sich Farewell North in unserem ausführlichen Test im Vergleich mit Genre-Größen wie Journey, RiME oder Omno?
Graue Melancholie
Es ist ein ganz besonderer, wenn auch trauriger Grund, der die beiden Protagonisten von Farewell North in die wilde Natur der schottischen Inseln führt. Die junge Cailey kehrt dabei zurück an wichtige und bedeutsame Orte ihrer Jugend, um noch einmal in Erinnerungen zu schwelgen, jedoch bisweilen etwas zu verdauen, was sie sehr beschäftigt. Familienhund Chesley wiederum ist ihr dabei eine große Hilfe, kennt sie den klugen Vierbeiner doch bereits seit ihren Teenager-Jahren. Einst war Chesley dabei der Hütehund auf der Farm von Caileys Mutter. Dementsprechend fühlt sich der knuffige Hund sichtlich wohl in dieser wilden Umgebung, die für Cailey wiederum irgendwie fremd geworden ist.
Der Grundton von Farewell North ist tatsächlich eher melancholischer Natur. Dies wird bereits zu Spielbeginn mehr als deutlich, denn nahezu die komplette Umgebung einschließlich der Hauptfiguren präsentiert sich grau in grau oder als einfacher Umriss. Dennoch schafft es Farewell North, die Emotionen der beiden Protagonisten direkt zu transportieren. Cailey ist in tiefer Trauer, während Chesley irgendwie nicht richtig weiß, wie er seinem Frauchen helfen kann.
Doch glücklicherweise bleibt die Spielwelt nicht permanent so trist. Mit jedem Ort, den die beiden besuchen und jeder Erinnerung, die sie gemeinsam noch einmal durchleben, bringen sie wieder Farbe zurück in die Welt. Der wehmütige Blick zurück an längst vergangene, heitere Momente wird dadurch deutlich fröhlicher. Farewell North präsentiert also eine sehr persönliche und emotionale Geschichte, die durchaus für den einen oder anderen Kloß im Hals sorgen kann. Speziell einige Highlight-Momente und ganz besonders der Schluss des Spiels ragen hierbei heraus.
Der beste Freund des Menschen
Die Spielwelt besteht aus einer ganzen Menge an kleinen, schroffen Inseln, welche wir weitestgehend frei erforschen dürfen. In diesen Abschnitten übernehmen wir die Steuerung von Border Collie Chesley, der mutig die Umgebung erkundet. Chesley kann dabei rennen, sich bedachter fortbewegen, springen und bellen. Zudem verfügt der schlaue Vierbeiner über die Möglichkeit, mit einem kurzen Ping seine Umgebung Bunt zu färben, was bei manchem Rätsel wichtig wird. Alle Eigenschaften ergeben Sinn, dient doch beispielsweise das Bellen dazu, Cailey auf etwas Wichtiges aufmerksam zu machen. Und natürlich kann Chesley auch Objekte mit dem Maul aufnehmen und herumtragen.
Jede Insel steht dabei für ein bestimmtes Hauptthema, weswegen wir sie besuchen. So findet Cailey dort bestimmte Aussichtspunkte aus ihrer Kindheit wieder, durchwandert ihr altes Zuhause oder stellt Chesleys Fähigkeiten als Hütehund auf die Probe. Dabei gestalten sich die Inseln als eigene kleine Rätselbereiche. Haben wir das Haupträtsel des Eilands gelöst, wird der ewige Grauschleier über der Umgebung gelüftet. Farbe kehrt in die Welt zurück und sorgt für extrem schöne und atmosphärische Panoramen. Da wir sehr häufig in der tristen Spielwelt unterwegs sind, sind diese Farbmomente durchaus ein Highlight im Spiel. Hier ist es fast schon schade, dass wir nicht öfter die farbenfrohen Umgebungen erkunden dürfen. Andererseits werden diese Momente dadurch noch deutlich besonderer, sowohl für die Protagonisten, als auch für den Spieler.
Eine komplett freie Erkundung der Inseln ist allerdings meist nicht möglich. Oftmals müssen wir erst bestimmte Rätsel abgeschlossen oder Ereignisse ausgelöst haben, um an anderer Stelle weiterzukommen. Da die Inseln nicht allzu weitläufig ausfallen, stören diese vermeintlich unnötigen Extrawege glücklicherweise kaum. Im Verlaufe des Abenteuers wartet Farewell North sogar mit so mancher Gameplay-Überraschung auf, die wir aber verständlicherweise nicht spoilern wollen.
Paddel to the metal
Zwar kann Hund Chesley sehr passabel schwimmen, jedoch ist dies im kalten Nordsee-Wasser freilich keine gute Idee. Damit wir dennoch fleißig zwischen den Inseln wechseln können, verfügt Protagonistin Cailey über ein praktisches Kanu. Mit diesem paddeln unsere beiden Hauptfiguren von Anlegestelle zu Anlegestelle. Ein praktischer Kompass sowie weithin sichtbare Leuchtmarkierungen weisen uns dabei den Weg zu unserem nächsten Ziel. Schön ist hierbei, dass uns neben der Hauptgeschichte eine ganze Menge sekundärer Nebenziele erwarten, die es zu ergründen gilt. Diese Abschnitte bringen uns die beiden Hauptfiguren noch einmal deutlich näher und sind immer lohnende Ziele für einen Abstecher.
Die Paddelsteuerung präsentiert sich dabei sehr eingängig und spaßig, müssen wir doch über die Trigger unseres Controllers jeden Zug einzeln setzen und sogar die Richtungsänderungen darüber vornehmen. Haben wir einmal einen guten Rhythmus aufgebaut, fliegen wir nur so durch die Wellen. Wem das zu viel Action ist, kann auch einfach per linkem Stick die Richtung vorgeben. Überhaupt bietet Farewell North einige Barrierefreiheitsoptionen, die dem Spieler viele Hilfestellungen an die Hand geben.
So gelungen die Steuerung zu Wasser ist, so hakelig können Chesleys Landausflüge wiederum ausfallen. Grundsätzlich haben wir dabei jederzeit gute Kontrolle über den Border Collie. Gerade bei Sprungpassagen kann uns allerdings eine etwas störrische Kamera oder die Trägheit unseres vierbeinigen Freundes ab und an ins Verderben stürzen. Absolut löblich ist dabei jedoch, dass die Checkpoints maximal fair gesetzt sind. Fallen wir einmal mit Chesley in einen potentiell tödlichen Abgrund, so werden wir direkt wieder an der Kante zurückgesetzt, an der wir unsere letzten Schritte getan haben. Somit kommt hier kein Frust auf.
Suchet, und ihr werdet finden
Wir erkunden also zusammen die Spielwelt zu Lande und zu Wasser, lösen kleinere Umgebungs- und Perspektivrätsel und lauschen den Ausführungen von Cailey, die sie teils zu sich selbst, teils zu Chesley sagt. Doch auch abseits der Story gibt es einiges für uns zu tun. Da wollen vor uns flüchtende Irrlichter eingefangen, Leuchttürme auf magische Weise wiederaufgebaut, Bänke entdeckt oder Gesangsnoten gefunden werden. Diese Nebenaufgaben fügen sich gut ins Gesamtbild ein und bieten uns im Falle der Irrlichter sogar den Vorteil, dass dadurch Chesleys Sprintausdauer gesteigert wird. Nicht unerwähnt bleiben sollte jedoch, dass sich einige Aufgabenstellungen öfter wiederholen. Dadurch fühlen sich diese mit zunehmender Spieldauer nach Spielzeitstreckung an. An anderen Stellen wartet aber immerhin das eine oder andere Secret darauf, von uns gefunden zu werden.
Wer nur rein der Hauptstory folgt, der wird das Spiel in rund fünf Stunden komplettiert haben. Viele optionale Wege laden zum Entdecken ein, so dass gerne ein paar mehr Stunden hinzukommen können. Meist lassen sich die Nebenaufgaben dank kurzer Laufwege gut abseits des eigentlichen Weges erledigen und arten somit selten in Arbeit aus. Zudem werden wir nicht dafür bestraft, wenn wir nicht alles gefunden haben. Der Casual-Gedanke des Spiels zieht sich also bis in die Nebenaufgaben hinein.
In Summe gestaltet sich das grundsätzliche Gameplay von Farewell North sehr ruhig, ja fast schon meditativ. Die komplette Spielerfahrung ist, trotz Chesleys diverser Sprints, sehr unaufgeregt und kaum hektisch. Im Umkehrschluss können manche Passagen dadurch aber auch daraus bestehen, minutenlang einfach nur durch die Wildnis zu streifen, ohne etwas Relevantes aufdecken zu können. In ein paar Abschnitten zieht sich das Spiel hierdurch dann doch etwas in die Länge.
Bring mal etwas Farbe rein
Spielerisch bedingt sind wir sehr viel in den grauen Abschnitten von Farewell North unterwegs. Dies sorgt bei zunehmender Spieldauer dafür, dass man sich an den Umgebungen tatsächlich etwas satt sieht. Die Momente, in denen Farbe in die Welt zurückkehrt, sind daher oftmals für den Spieler eine Auflockerung. Gerade dann kann Farewell North grafisch durchaus überzeugen. Wunderschöne Lichtstimmungen und eine gute Fernsicht erlauben sehr atmosphärische Szenarien, die uns in die schottisch-angehauchte Spielwelt hineinziehen. Die sehr guten, englischen Sprecher sowie die herausragende Musikuntermalung tun ihr übriges hierzu, wobei letztere noch einmal besonders hervorzuheben ist. Traditionelle und episch-melancholische Klänge bringen mit jedem Musikstück die Atmosphäre ein gewaltiges Stück voran.
Ein ebenfalls sehr gelungenes Detail ist die Implementierung der gälischen Sprache, da wir das Spiel auf Wunsch auch so erleben dürfen. In der Nahbetrachtung der Optik fallen die generell eher rudimentären Texturen ins Auge. Auf den Inseln selbst ist dies als Stilmittel noch kein großes Problem, da die Spielwelt an sich sehr stimmig ist. Ein wenig störend ist jedoch die Textur des Wassers, welches zwar stets sehr aufgewühlt präsentiert wird, allerdings gerade auf größere Entfernung trotzdem ganz klar als Textur einer Grafikengine zu erkennen ist. Zu gleichförmig präsentiert sich hier die Oberfläche des kühlen Nass. Seine stärksten Passagen hat Farewell North dann, wenn ein wenig Nebel im Spiel ist, da die Umgebungen dadurch gleich deutlich mysteriöser und stimmungsvoller wirken. Dies gilt dann sowohl für die Passagen an Land als auch im Wasser.
Zum Ende hin kam die Engine dann aber doch etwas in Bedrängnis, denn gerade im letzten Spielabschnitt sorgten in unserem Review zwei heftige Bugs dafür, dass wir den Spielstand neu laden mussten. Dank fair gesetzter Speicherpunkte war dies kein allzu großer Verlust, allerdings ist es definitiv erwähnenswert. Außerdem hatte gerade dieser Abschnitt auch mit ein paar unschönen Rucklern zu kämpfen, die uns aus der Immersion rissen und somit anzusprechen sind.
Fazit
Farewell North bietet in unserem Test eine sehr schöne, melancholische Spielerfahrung, die sich angenehm ruhig präsentiert, aufgrund der sehr persönlichen Geschichte jedoch einige Emotionen mit sich bringt. Positiv hervorzuheben ist der wunderschöne, schottisch inspirierte Soundtrack, der uns gut durch das Spiel trägt. Ebenfalls auf der Habenseite verbucht Farewell North seine sehr große Spielwelt, die gerade in Anbetracht dessen, dass wir es hier quasi mit einem Ein-Mann-Projekt zu tun haben, absolut beeindruckend ist. Die vielen Inseln in Kombination mit den diversen Nebenzielen im Rahmen der Hauptgeschichte laden zum Erkunden ein und belohnen mit Einblicken in die Gefühlswelt der Hauptfiguren Cailey und Chesley sowie mit schönen Panoramen.
Apropos Panoramen, auch hier kann Farewell North absolut punkten, sofern wir das Rätsel einer Insel gelöst und der Welt die Farbe zurückgebracht haben. Bis dahin ist die Spielwelt trist, grau und deutlich weniger einladend, was jedoch nicht als Negativpunkt gelten soll, sondern vielmehr die Farbwechselmomente im Spiel zu einem absoluten Highlight werden lässt. Auch wenn wir das grundsätzliche Gamedesign mit der grauen Grundwelt nicht negativ bewerten, müssen wir dennoch erwähnen, dass Farewell North in diesen Abschnitten grafisch natürlich eher eintönig daherkommt. Definitiv ein Faktor sind kleinere technische Probleme wie Clippingfehler, eine störrische Kamera sowie die hakelige Sprungsteuerung von Hund Chesley. Zwei Bugs im letzten Kapitel, die uns zum erneuten Laden unseres Spielstandes zwangen, sowie einige fiese Ruckler, trüben das technische Gesamtbild leider weiter.
Zudem können die zahlreichen Nebenaufgaben im Spiel nicht alle überzeugen. Speziell die Jagd nach den flüchtenden Irrlichtern bringt uns zwar verbesserte Ausdauer, erweist sich aber teilweise als ermüdend. Ebenso nicht unerwähnt bleiben sollte außerdem, dass sich manche Abschnitte im Spiel ein wenig ziehen und einige Aufgabenstellungen etwas zu häufig wiederholen. Zwar passt dies zur grundsätzlich unaufgeregten Spielerfahrung, in ein paar Abschnitten wäre aber weniger fast schon mehr gewesen. Dafür wiederum entschädigt Farewell North mit einigen extrem emotionalen Momenten, in denen wir schon mal heftig schlucken oder im Falle des Spielendes sogar ein paar Tränen verdrücken mussten.
Ziehen wir den direkten Vergleich mit Genre-Konkurrenten wie Journey, RiME oder Omno, so kann Farewell North das Niveau hier nicht ganz halten, was es aber beileibe nicht zu einem schlechten Spiel macht. Ganz im Gegenteil: Die emotionale Reise der jungen Frau Cailey und ihres treuen, vierbeinigen Begleiters Chesley durch die schottische Inselwelt ist eine sehr schöne und emotionale Spielerfahrung, der man gerade als Fan des Genres definitiv eine Chance geben kann und sollte.
- Melancholisch erzählte Geschichte
- Schöner Mix aus Erkundung zu Land und zu Wasser
- Simple Rätselmechaniken
- Abschnitte sehr atmosphärisch
- Viele Barrierefreiheitsoptionen
- Gelungene Kanusteuerung
- Sehr gute, englische Sprecher
- Extrem gelungener und atmosphärischer Soundtrack
- Einige richtig emotionale Highlight-Momente
- Unaufgeregte Spielerfahrung
- Manche Abschnitte ziehen sich etwas
- Sehr viel grau in grau
- Steuerung zu Land etwas hakelig
- Wassertextur aus Entfernung nicht schön anzusehen
- Clippingfehler, Ruckler und kleinere Kameraprobleme
- Zum Ende hin zwei Bugs, die zum erneuten Laden des Spielstandes zwangen
Seit dem ersten Gameboy begeisterter Konsolenzocker. Neben Rennspielen, Action-Adventures und JRPGs sind auch Indie-Perlen gerne im Laufwerk gesehen. Zu den Lieblingsspielen gehören GTA Vice City, Metal Gear Solid, Overboard, Ys VIII, die Uncharted- und Forza-Horizon-Reihe sowie Gran Turismo 7.