

South of Midnight im Test: Per Fisch ins Traumland
Mit South of Midnight liefern Compulsion Games – die Macher von We Happy Few – ein atmosphärisch dichtes Action-Adventure, das sich nicht nur durch seine ungewöhnliche Präsentation, sondern auch durch seine tiefgründige Thematik von Genre-Standards abhebt. Das Spiel führt uns in die geheimnisvollen, oft vergessenen Winkel des amerikanischen Südens, wo Realität und Folklore miteinander verschmelzen. Im Zentrum steht Hazel Flood, eine junge Frau, deren Leben durch einen verheerenden Hurrikan auf den Kopf gestellt wird – und die dabei entdeckt, dass sie eine sogenannte „Weberin“ ist. Klingt schräg? Wird es auch. Aber auch emotional, erzählerisch kraftvoll und visuell einzigartig.
Auf den Spuren des Schmerzes – und der Heilung
Der Einstieg in South of Midnight ist gleichermaßen poetisch wie bedrückend: Hazel verliert nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Mutter, als ihr Heim während eines Hurrikans vom reißenden Fluss fortgerissen wird. Auf der Suche nach ihr wird Hazel mit ihrer Gabe konfrontiert: Sie kann Fäden sehen, aus denen die Realität gewoben ist – und lernt, dass sie sie neu verknüpfen kann, um traumatische Erlebnisse zu heilen. Als „Weberin“ ist sie dazu berufen, seelische Risse in der Welt zu flicken – eine Aufgabe, die sie tief in eine surreale Welt voller Leid, Hoffnung und magischer Kreaturen führt.
Die Geschichte ist von Beginn an stark auf emotionale Tiefe ausgelegt. Hazel begegnet Wesen aus der afroamerikanischen und kreolischen Folklore, etwa dem Rougarou – einer Art Wereule –, alten Spukgestalten und geisterhaften Erscheinungen, die metaphorisch für menschlichen Schmerz stehen. Besonders bemerkenswert ist dabei die Art, wie South of Midnight diese Wesen in die Narrative einbindet: Nicht als reine Gegner, sondern als Ausdruck psychischer Wunden. Das Spiel beschäftigt sich mit Themen wie Verlust, Identität, familiärer Verbundenheit und Heilung – ohne dabei ins Kitschige abzurutschen. Auch Hazels Großmutter Bunny ist mehr als nur eine schrullige Begleiterin: Sie kennt sich mit den übernatürlichen Kräften aus und wird zur wichtigen Mentorin.
Dabei hilft auch der eigentliche Star des Spiels: ein riesiger sprechender Wels, der als Erzähler fungiert. Dieser charmante Fisch führt uns durch die Geschichte und verleiht dem Ganzen eine erzählerische Leichtigkeit, die den düsteren Themen ein Gegengewicht bietet. Seine Kommentare sind mal poetisch, mal witzig, aber immer pointiert – ein seltenes Beispiel gelungener Erzähler-Figur in einem Videospiel.
Gameplay zwischen Heilung und Herausforderung
Spielmechanisch bewegt sich South of Midnight zwischen klassischem 3D-Plattforming, leichten Rätseln und actionreichen Kämpfen. Herzstück des Gameplays ist Hazels Fähigkeit, sogenannte Stigmen – Manifestationen seelischer Schmerzen – zu heilen. Dazu muss sie jeweils das passende Webmuster lernen, das aus Erinnerungsfragmenten besteht und die persönliche Leidensgeschichte eines Charakters erzählt. Diese Fragmente sind in kleinen Arenen versteckt oder durch Kämpfe mit Albtraumgestalten geschützt. Hat man alle Teile zusammen, steht der finale Bosskampf an – und der hat es oft in sich.
Die Bosskämpfe sind zwar spielerisch nicht revolutionär, überzeugen aber durch ihre Inszenierung: Jeder Gegner ist visuell einzigartig gestaltet, oft grotesk und von Folklore durchdrungen. Die Kämpfe bestehen in der Regel aus mehreren Phasen und werden durch Musikstücke untermalt, die die persönliche Geschichte des Gegners musikalisch zusammenfassen – ein erzählerisches und musikalisches Highlight, das South of Midnight von vielen anderen Titeln unterscheidet.
Etwas weniger glänzt das Plattforming: Die Sprungpassagen sind meist linear, wirken gelegentlich repetitiv und leiden unter teils kniffligen Kameraperspektiven. Auch das Leveldesign bietet wenig spielerische Freiheit, sieht aber dafür beeindruckend aus. Jede Region hat ihren eigenen visuellen Stil – vom nebligen Bayou über ausgedörrte Sümpfe bis hin zu surreal zerbrochenen Erinnerungslandschaften. Trotz der spielerischen Limitierungen bleibt das Voranschreiten spannend, da stets neue Geschichten und Figuren auf Hazel warten.
Ein Fest für Augen und Ohren
Visuell ist South of Midnight ein echtes Kunstwerk. Die Kombination aus Stop-Motion-Animation und handgezeichnet wirkenden Umgebungen verleiht dem Spiel eine ganz eigene Ästhetik. Die Figuren wirken fast puppenhaft, bewegen sich ruckartig, was den surrealen Ton der Geschichte noch verstärkt. Wer diesen Stil als störend empfindet, kann die Stop-Motion-Optik im Menü reduzieren – eine willkommene Option.
Besonders hervorzuheben ist auch die musikalische Gestaltung: Olivier Derivières Soundtrack vermischt Blues, Country, Gospel und spirituelle Musik und unterstreicht die kulturelle Verankerung des Spiels. Jeder Bosskampf erhält sogar einen eigenen Song, der die persönliche Geschichte der Figur zusammenfasst – eine kreative, emotionale Verbindung von Gameplay und Musik, wie man sie selten sieht. Die englische Sprachausgabe ist exzellent und fängt die regionalen Dialekte und den Rhythmus des Südens perfekt ein. Deutsche Untertitel sind verfügbar und solide übersetzt.
Fazit
South of Midnight ist kein Spiel für jedermann – und das ist sein größter Vorteil. Wer nach rasanten Kämpfen, offenem Leveldesign und komplexem Gameplay sucht, wird hier nicht fündig. Wer sich aber auf ein emotionales Abenteuer einlassen möchte, das kulturelle Tiefe, kreative Bildsprache und eine berührende Geschichte vereint, bekommt hier ein besonderes Erlebnis geboten. Und spätestens der visuelle Stil lohnt zumindest mal einen Blick zu riskieren.
- Einzigartige Story
- Visuell Beeindruckend
- Starke Hauptfigur und emotional berührende Geschichte
- Kulturelle Einbindung der Folklore des amerikanischen Südens
- Häufige Wiederholung
- Stop-Motion-Stil seltsam umgesetzt
- Ungenaue Steuerung

Hat seit dem Gameboy jede Handheld-Generation ausgiebig genutzt. Es stehen vorallem Coop- und Multiplayer-Spiele hoch im Kurs.