Evil West im Test: Alte Schule oder altes Eisen?
Evil West von Flying Wild Hog setzt auf den Charme älterer Shooter. Kann das auch Ende 2022 noch überzeugen, oder gehören Spiele dieser Kategorie endgültig zum alten Eisen? Wir haben uns in das Wild-West-Setting begeben und massenweise Vampire ins Jenseits befördert. Herausgekommen ist ein gemischtes Gefühl aus Spielspaß und „da hätte man mehr draus machen können“.
Welcome to the Wild Wild West
Der Spieler findet sich im Wilden Westen wieder. Vampire sind drauf und dran, die amerikanischen Staaten zu übernehmen. Gott sei Dank gibt es Jesse Rentier, in dessen Rolle der Spieler schlüpft, um der Brut, die die Freiheit der Menschen bedroht, Einhalt zu gebieten. Dabei wird Jesse von einem anderen wichtigen Umstand angetrieben: Sein eigener Vater wurde mit Vampirblut „infiziert“ und siecht nun dahin, um die vermeintlich unausweichliche Verwandlung in einen Blutsauger zu durchlaufen.
Es besteht also jede Menge Handlungsbedarf. Der eigene Vater will gerettet und die Menschheit vom Joch der Feinde befreit werden. Also packt Jesse seinen Flammenwerfer, seine Elektrohandschuhe und diverse Schießeisen ein und zieht gegen die Übermacht in den Krieg.
Was folgt, ist eine sehr geradlinige Kampagne, die bewusst den Charme älterer Shooter-Generationen wieder aufleben lassen will. Bis zum Abspann vergehen rund 13 bis 14 Spielstunden, in denen es von einem Gegnerhaufen zum anderen geht und man vor nahezu jedem Kampf eine Zwischensequenz zu sehen bekommt. Diese Sequenzen lösen oft eine Mischung aus Nostalgie und Fremdscham aus.
Die Dialoge, die Charaktere und die komplette Aufmachung wirken ordentlich angestaubt und das sorgt nicht immer für positive Erinnerungen. Die Gags zünden leider sehr selten. Trotzdem werden sich gerade Spieler mittleren Alters hier heimisch fühlen. Wer nichts mit aktuelleren Titeln anfangen kann, wird eine schöne Rückbesinnung auf die stumpfen und eindimensionalen Charaktere von früher finden. In Zeiten von schrillen Protagonisten und überladenen Open-World-Shootern hat das gegebenenfalls einen ganz eigenen Reiz.
Technisch auch von gestern?
Auf den ersten Blick fällt eines sofort auf: Die Optik ist so eingestaubt wie die Shooter, an die Evil West angelehnt ist. Technisch ist das Spiel also keinesfalls auf der Höhe der Zeit. Darüber kann man allerdings hinwegsehen, denn es kommt dafür auch sehr flüssig und ohne störende Bugs daher.
Am Sound gibt es schon weniger zu meckern. Das Spielgeschehen ist gut abgemischt und könnte nur an einigen Stellen (gerade in den Zwischensequenzen) etwas wuchtiger sein.
Das Design der Gegner hätte kreativer und abwechslungsreicher ausfallen können, aber die Typen von Feinden, die es gibt, sind allesamt sehr cool gestaltet. Da diese aber in großen Horden auftauchen, hat man sich schnell sattgesehen an dem ganzen Mutantengesocks.
Gameplay und Geradlinigkeit
Das Kampfsystem ist gut und komplex und hier liegt auch eine der großen Stärken des Spiels.
Viele Gegner schickt man im Nahkampf ins Jenseits. Es gibt die Möglichkeit, Feinde heranzuziehen, in die Luft zu schleudern und immer wieder per Waffe auch im Fernkampf zu beackern. Zudem stehen aufladbare Spezialattacken und ein ordentliches Arsenal an Angriffen zur Verfügung. Garniert wird das Ganze mit überschaubaren Skilltrees, die aber nützliche Verbesserungen bereithalten.
Die Steuerung geht wirklich gut von der Hand und ist langfristig motivierend. Das muss sie auch sein, denn spielerisch wird in Evil West kaum Abwechslung geboten. Der Spieler rennt von A nach B und erledigt Horden von Gegnern. Dazwischen gibt es allerhöchstens ein uninspiriertes Schalterrätsel zu lösen. Die Gegner treten in Massen auf und sind oft Kugelschwämme, vertragen also viel und machen mitunter ordentlich Schaden, wenn man sie nicht schnell genug auf die Bretter schickt. Viel taktisches Können braucht es hier nicht. Abwechslung sucht man auch vergeblich.
Allerdings hört sich das jetzt weitaus schlimmer an, als es sich spielt, denn Evil West kann durchaus überzeugen. Bedenkt man, dass die Spielzeit nicht allzu ausufernd ist, kann man fehlende Abwechslung bei dem hohen Spaßfaktor der Kämpfe gerne auch verzeihen. Man muss sich allerdings bewusst sein, auf welch stumpfes Geprügel man sich einlässt.
An Wuchtigkeit fehlt es den Auseinandersetzungen mit dem Vampirgesocks keineswegs. Die verschiedenen kleinen Kniffe im Kampfsystem sorgen für einige sehr coole Kombos, mit denen den Blutsaugern der Garaus gemacht werden kann.
Zwei Spieler für ein Halleluja: Der Coop-Modus
Evil West verzichtet bewusst auf sehr viele Elemente, ohne die die meisten Shooter aktuell nicht mehr denkbar sind: Einen kompetitiven Online-Multiplayer und eine aufgeblähte Open World mit zig Nebenaufgaben. Dieser Verzicht bereichert Evil West meiner Meinung nach sehr. Durch den Fokus auf das Wesentliche ergibt sich hier eine erfrischend geradlinige Spielerfahrung. Einmal durch die Story kämpfen, schießen, reißen und fertig.
Es gibt nur eine Sache, die ein solches Spiel noch spürbar besser macht: Evil West schreit nach Coop und genau dieser Modus wird den Spielern geboten. Man kann die komplette Story mit einem Freund zusammen erleben. Daraus ergibt sich ein großer Pluspunkt: Die trashigen Zwischensequenzen machen zusammen schlichtweg mehr Spaß. Man erinnert sich gemeinsam an die alten Zeiten, lacht hier und da über die absurd dämlichen Dialoge und freut sich an der Hirn-Aus-Action.
Und es macht trotzdem verdammt viel Spaß
Nun wurden hier einige technische, inhaltliche wie auch spielerische Mängel aufgeführt und man könnte meine, Evil West könnte man getrost links liegen lassen. Weit gefehlt, denn trotz einiger Schwächen kann Evil West überzeugen. Man muss eben nur wissen, worauf man sich einlässt.
Fehlende Komplexität im Spieldesign und eine wenig Aufmerksamkeit fordernde Story haben auch etwas Gutes: Da das Kampfsystem verdammt viel Spaß macht und gut in die Finger übergeht, findet man immer schnell den Einstieg in das Spiel. Man kann Evil West ein paar Tage liegen lassen und ist dann sofort zurück im Flow, wenn man es wieder ausgräbt. Es gibt keine unzähligen Aufgaben, die noch abgehakt werden wollen, keine tausend Gegenstände, die es zu finden gilt. Man kann sich abends nach einem anstrengenden Tag ein paar Minuten vor die Konsole setzen, ein paar Vampirköpfe zum Platzen bringen und das Hirn ausschalten.
Fazit
Braucht es aktuell noch Spiele, die dem Spielmuster alter Shooter folgen? Muss es heutzutage mehr sein, als nur stumpfes Von-Kampf-zu-Kampf-Laufen und schlauchige Levels? Meine Antwort ist ein klares „Jein“. Ich liebe die Geradlinigkeit, die stumpfe und einfache Spielgestaltung und die Möglichkeit, Evil West mit einem Freund im Coop-Modus zu genießen. Ich habe viele der Spiele, an die Evil West angelehnt ist, sehr gerne gespielt und so konnte mich der Wild-West-Shooter streckenweise wirklich abholen.
Hier und da vermisse ich ein paar selbstreflektierte Scherze auf Meta-Ebene, die die Schwächen älterer Genrevertreter etwas aufs Korn nehmen. Spielerische Abwechslung wäre trotzdem sehr schön gewesen. Nach einigen Spielstunden hat man den Spaß an den zahlreichen Kämpfen verloren. Das ein oder andere Rätsel oder ein paar gut inszenierte Bosskämpfe hätten den Spielspaß sicher in die 80-Prozent-Region befördert.
Erfrischend ist allerdings, dass Evil West sich nicht allzu ernst nimmt und schön geradlinig ist. In Zeiten von künstlich aufgeblähten Open-World-Spielen kann das seinen eigenen Reiz besitzen. Es geht 13 oder 14 Stunden stur geradeaus und dann ist Schluss. Das bringt mir das befriedigende „Ich habe ein Spiel abgeschlossen“ Gefühl wieder, das Open-World-Spiele nach Beenden der interessanten Storymissionen einfach nicht aufkommen lassen wollen.
Wer nicht allzu viel Abwechslung braucht, über eine etwas angestaubte Technik hinwegsehen kann und auch mit einer sehr dünnen Story zurechtkommt, der wird hier sicher einige sehr spaßige Spielstunden verbringen können. Mit einem Freund macht es dann sogar doppelt so viel Laune. Evil West weckt mit solider Umsetzung immer wieder Nostalgiegefühle, verpasst aber knapp den Sprung zu den „muss man gespielt haben“ Titeln dieses Jahres.
- Old-School-Vibes
- Stumpf aber motivierend, dank seines guten Kampfsystems
- Erfrischend geradlinig
- Wer keine Nostalgie verspürt, wird sich schnell langweilen
- Grafik und Spieldesign wirken sehr altbacken
- Spielerisch kaum Abwechslung
Leidenschaftlicher Zocker, der irgendwo zwischen Shootern, Plattformern, Action-Adventures und arcadigen Sportspielen zuhause ist. Zu den Lieblingsreihen gehören Resident Evil, The Last Of Us, Call Of Duty und GTA.