

Identifile: Desktop Dungeon im Vorabtest: Wenn die Maus zum Schwert wird
Stell dir vor, du öffnest deinen Desktop, und statt Icons springen dir plötzlich Viren entgegen, die nur darauf warten, deinen Cursor zu vernaschen. Genau hier setzt Identifile: Desktop Dungeon an. Kein Fantasy-Schwert, kein Feuerball, nur du, eine Maus und ein Betriebssystem, das dringend einen Termin beim IT-Notdienst bräuchte. Der Cursor wird zur Waffe, das Dateisystem zur Arena und jeder Ordner zu einem neuen Spielfeld voller digitaler Unannehmlichkeiten.
Schon nach den ersten Minuten wird klar, wie charmant diese Idee umgesetzt ist. Wir durchstöbern Drives wie Abenteuerkarten, sammeln EXE-Dateien als Power-ups und landen häufiger im Papierkorb, als uns lieb ist. Und während draußen die echte Festplatte friedlich schnurrt, drehen wir drinnen Kreise um Viren, die nichts lieber wollen, als uns in Bits und Bytes zu zerlegen – was erstaunlich schwerer ist, als es klingt.
Ob diese ungewöhnliche Mischung aus Roguelike, Bullet Hell und Computerästhetik dauerhaft zündet, finden wir im Test heraus.

Ein Desktop voller Gefahren
Die Grundidee von Identifile: Desktop Dungeon zeigt sofort, warum sie funktioniert: Die Spieler kennen Ordner, Dateien und Betriebssysteme. Was hier anders ist: Alles davon möchte uns ans digitale Leder.
Ordner dienen als Hub für die einzelnen Abschnitte, während wir uns durch verschiedene Drives arbeiten, die jeweils eigene Virentypen und Bossmechaniken mitbringen. Das Spiel verwandelt bekannte Computeroberflächen in Mini-Arenen, die sich stetig füllen – mit Projektileffekten, Feindgruppen, Upgrades und jeder Menge „Oh nein, das war zu knapp“-Momenten.
Gerade beim ersten Start wirkt alles spielerisch harmlos. Ein paar Icons, ein sanfter Synth-Sound, ein schwebender Cursor. Doch sobald die ersten Viren anrollen, wird klar: Das hier ist Bullet Hell im Dateisystem, und wir haben noch nicht mal einen Spamfilter installiert.

Kreise ziehen im Kugelsturm
Der Kern des Spiels ist die Cursorsteuerung, und sie funktioniert besser, als man erwarten würde. Wir bewegen uns frei über den Bildschirm, attackieren Feinde, indem wir sie umrunden, und sammeln Upgrades, indem wir sie berühren. Die Maussteuerung ist präzise, aber sie verlangt uns etwas ab – im positiven Sinne.
Schon nach wenigen Minuten merkt man, wie intensiv es ist, lange, saubere Kreise zu ziehen, während das halbe Bild voller Projektile steckt. Der eigene Cursor wird zur letzten Bastion im Kugelsturm, immer in Bewegung, immer auf der Suche nach dem kleinsten Fehler in der eigenen Handmuskulatur.
Das Beste daran: Das Spiel ist schwer, aber nie unfair. Es fordert, ohne zu frustrieren. Ein typischer Fall von leicht zu spielen, aber hart zu meistern.

Upgrades, EXEs und neue Cursorformen
Loot ist ein essenzieller Teil des Fortschritts, und Identifile zeigt früh, wie viel Gewicht in diesen kleinen Dateien steckt. EXE-Fähigkeiten und andere Upgrades finden wir im Level oder kaufen sie im Shop, bevor wir uns wieder in den nächsten Ordner stürzen. Während klassische Upgrades unseren Cursor dauerhaft stärken, funktionieren EXE-Dateien eher wie mächtige Spezialwerkzeuge: Wir setzen sie gezielt ein, verbrauchen ihre begrenzten Ladungen und überlegen gut, in welchen Momenten sie den größten Unterschied machen.
Das Zusammenspiel dieser beiden Loot-Arten sorgt für spannende Entscheidungen. Manche Upgrades wirken eher subtil, andere verändern das Spielgefühl sofort spürbar. Und dann gibt es die EXE-Fähigkeiten, die in chaotischen Situationen das Blatt komplett wenden können, wenn man sie klug einsetzt. Zusammen mit den verschiedenen Cursorvarianten entsteht so eine überraschende Bandbreite an Spielstilen.
Schon nach kurzer Zeit wird erkennbar, welche Kombinationen besonders gut harmonieren und welche eher experimentell bleiben, ohne gleich zum Todesurteil zu werden. Identifile vermeidet es, Spieler in RNG-Fallen zu schicken, weil Entscheidungen nachvollziehbar sind und das Balancing schon jetzt einen durchdachten Eindruck hinterlässt.

Bosskämpfe, die überraschen
Ein Highlight sind klar die Bosskämpfe. Statt standardisierter Bullet-Hell-Monster erwarten uns individuelle Ideen, cleverer Einsatz der Bildschirmfläche und Mechaniken, die das Cursor-Konzept überraschend variantenreich nutzen.
Die Kämpfe schaffen es, Herausforderung und Lesbarkeit gut zu verbinden. Besonders schön ist, dass die Bosse nicht nur darauf setzen, mehr Projektile in unsere Richtung zu feuern. Stattdessen zwingen sie uns häufig dazu, das Cursor-Gameplay auf neue Art einzusetzen. Manchmal sind es präzise Manöver, manchmal Bewegungskontrolle, manchmal Pattern-Erkennung.
Diese Kreativität zeigt, dass das Spiel mehr sein will als ein Gimmick – es ist ein vollwertiges Roguelike mit eigenem Charakter.

Ein Computer wird zum Schlachtfeld
Die Präsentation ist eine der großen Stärken. Identifile weiß genau, was es sein möchte, und trifft den Ton perfekt. Die Mischung aus Systemoberfläche, minimalistischen Icons, subtilen Farben und klaren Formen ergibt ein stimmiges Gesamtbild.
Und dann wären da noch die Easter Eggs.
Dateinamen, die doppeldeutig sind. Versteckte Referenzen. Kleine Computerwitze, die man erst beim zweiten Hinsehen erkennt. Wer Spaß an subtilen Details hat, findet hier reichlich zu schmunzeln.
Der Sound fügt sich ebenfalls hervorragend ein. Synthesizer, digitale Piepser, kurze Signaltöne – alles passt zum Setting eines digital verseuchten Desktops. Es klingt so, wie das Spiel aussieht: sauber, technisch, aber irgendwo auch verspielt.

Lesbarkeit zwischen Partikeln und Projektilen
Bullet-Hell-Spiele geraten oft in die Falle, dass sie visuell überladen wirken. Identifile: Desktop Dungeon bewegt sich nah an dieser Grenze, aber ohne sie zu überschreiten. Wenn der Bildschirm voller Viren, Icons und Effekte ist, wird es hektisch – klar. Doch die Formen bleiben unterscheidbar, und die Farben sind so gewählt, dass der Cursor selten untergeht.
Natürlich gibt es Momente, in denen man kurz nicht weiß, welches Projektil gerade gefährlich ist und welches nur ein Effekt. Aber das passiert eher in besonders chaotischen Situationen, die man als Spieler ohnehin mit „Ich sollte hier eigentlich nicht mehr leben“ verbucht. Für ein Early-Access-Spiel ist die Lesbarkeit bereits auf erstaunlich hohem Niveau.
Das Wichtigste: Die Maus bleibt stets unter Kontrolle.
Selbst in stressigen Situationen vermittelt das Spiel das Gefühl, die eigenen Fehler verstehen zu können. Ein zentraler Aspekt für jede Form von Roguelike – und hier bereits überzeugend umgesetzt.

Eine Lernkurve mit Anspruch
Identifile macht schnell klar, dass es dir nichts schenken wird. Der Einstieg ist leicht, weil die Mechaniken visuell verständlich sind. Doch je weiter du dich durch die Drives arbeitest, desto anspruchsvoller werden Gegner, Mechaniken und Bossmuster.
Was das Spiel hervorragend meistert:
Es lässt dich spüren, dass du besser wirst. Nicht nur durch Upgrades, sondern durch Skill. Kreise ziehen wird präziser, das Umgehen von Projektilen schneller, das Erkennen gefährlicher Situationen intuitiver.
Das Spiel wächst also nicht nur durch Zahlenwerte – du wächst als Spieler mit.
Dieser Faktor sorgt dafür, dass selbst kurze Sessions motivierend bleiben. “Nur noch ein Run” ist hier kein Marketingversprechen, sondern eine spontane Feststellung mitten in der Nacht.

Motivation für den nächsten Run
Roguelikes leben davon, dass sie uns immer wieder zurückholen. Identifile schafft das auf zwei Arten:
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Der Kern-Loop ist extrem befriedigend.
Präzise Mausbewegungen, schnelle Entscheidungen, kleine Erfolgsmomente – alles greift ineinander.
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Upgrades und Cursorformen bieten genug Variation.
Man merkt sofort: Die Entwickler wollen Vielfalt, aber ohne Komplexität zu überladen.
Der Schwierigkeitsgrad steigt spürbar, aber fair. Es ist ein Spiel, das fordert, ohne die Motivation zu zerstören. Gerade weil Upgrades deutlich spürbar sind – manche mehr, manche weniger – fühlt sich Progression greifbar an. Jede EXE-Datei, die den Build verändert, lädt zum Experimentieren ein.
Besonders gut funktioniert der Flow aus:
erkunden → verbessern → scheitern → besser zurückkehren.
Das klassische Roguelike-Gefühl also, aber verpackt in einer Desktop-Ästhetik, die mehr Charme hat, als man zuerst vermuten würde.

Fazit
Schon jetzt macht Identifile einen erstaunlich runden Eindruck. Die Performance ist stabil, die Mechaniken sitzen, das Balancing fühlt sich weitestgehend stimmig an. Gleichzeitig sieht man klar, dass das Spiel noch wachsen kann – und wahrscheinlich auch wird.
Potenzialbereiche, die besonders spannend wirken:
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mehr Cursorformen, die noch individuellere Spielstile erlauben
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weitere Drives mit neuen Virentypen und eigenen Bossmechaniken
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zusätzliche EXE-Synergien, um Builds noch stärker zu differenzieren
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optionale Herausforderungen, die die Lernkurve weiter verzahnen könnten
Im aktuellen Zustand ist das Spiel ein sehr stabiles Early-Access-Projekt, das bereits Spaß macht und einen klaren Weg vor Augen hat. Serienkenner von Roguelikes sehen sofort, dass hier nicht nur experimentiert, sondern durchdacht weiterentwickelt wird.
- Ungewöhnliches, starkes Cursor-Gameplay
- Präzise Steuerung mit klarer Lernkurve
- Innovative Bosskämpfe
- Erkennbare Progression durch Upgrades
- Stilsichere Präsentation mit cleveren Details
- Motivierender Roguelike-Loop
- Easter Eggs und Datei-Humor für aufmerksame Spieler
- Stabile Performance und reifer Early-Access-Stand
- In chaotischen Momenten leicht unübersichtlich
- Manche Upgrades wirken weniger bedeutend
- Fordert die Maus-Hand auf Dauer ziemlich intensiv

Webentwickler, Technik-Nerd und Gamer aus Leidenschaft seit der Kindheit, mit einem Faible für die komplette The Legend of Zelda- und Halo-Reihe. Dazu fast keine Konsolengeneration ausgelassen und auch sehr interessiert an Indie-Games.