Nobody Wants to DieNobody Wants to Die
Review

Nobody Wants to Die im Test: Unsterblichkeit hat ihren Preis

Von Alex Jung am 30. Juli 2024. Getestet auf PS5. Zum Spiel hier klicken.

In Nobody Wants to Die, dem Erstlingswerk des polnischen Entwicklerstudios Critical Hit Games, stellen wir uns einem dystopischen Zukunftsszenario mit einem gehörigen Einschlag Film Noir, welches die Genres Adventure und Walking-Simulator miteinander kombiniert. Neben dem Fokus auf Grafik und narrativen Elementen möchten die Entwickler zusätzlich mit Puzzle-Passagen, einer spannenden Geschichte und natürlich ganz viel Atmosphäre punkten. Wir haben uns für euch ins Jahr 2329 begeben, den dreckigen, düsteren Moloch New York besucht und klären im Test, ob Nobody Wants to Die auch abseits der offensichtlichen, grafischen Schauwerte überzeugen kann.

Eine Bomben-Stimmung

Wir schreiben das Jahr 2329. Dank einiger bahnbrechender Erfindungen ist die größte Bedrohung des Menschen quasi besiegt worden: die Sterblichkeit. Bewusstseine werden unabhängig vom Leib in sogenannten Banken gelagert. Sollte der eigene Körper aufgrund des Alters, einer Krankheit oder eines Unfalls schlapp machen, so wird die Seele einfach in einen neuen Körper übertragen. Damit einhergehend verlieren die Menschen jedoch ab ihrem 21. Geburtstag das Recht auf ihren eigenen Körper. Wer eine entsprechende Gebühr nicht bezahlen kann, dessen Leib wird bei Auktionen der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Wie so oft gilt auch hier der berüchtigte Kapitalismus in seiner bösesten Form. Während die Reichen sich junge, attraktive und gesunde Körper leisten können, muss die Allgemeinheit mit den Resten leben, die niemand mehr will. Eine 25-jährige, geistig völlig gesunde Frau in der Hülle eines 55-jährigen, von jahrelangem Drogenkonsum geschädigten Junkies? In der Welt von Nobody Wants to Die eher die Regel als die Ausnahme.

Dieser extreme Auswuchs von Kapitalismus in Verbindung mit jahrhundertelanger Umweltverschmutzung hat dafür gesorgt, dass die Mega-Metropole New York ein düsterer, verpesteter Moloch von Stadt geworden ist. In die allgemein depressive Grundstimmung der Gesellschaft mischt sich eine steigende Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Politische Entscheidungen, die wie so oft den wenigen Reichen mehr nützen als den zahllosen Armen, sorgen für zusätzliche Spannung. Inmitten dieser brodelnden Ausgangslage befindet sich unsere Hauptfigur, der Ex-Polizist James Karra. Geprägt vom Verlust seiner Ehefrau Rachel, gepeinigt von Visionen im Zuge seines letzten Körperwechsels, abhängig von Tabletten und Alkohol und außer Dienst gestellt aufgrund seines letzten, verkorksten Einsatzes wird der ebenso zynische wie bärbeißige Ermittler inoffiziell zu einem brisanten Todesfall hinzugezogen.

Ein hochrangiges Mitglied der Gesellschaft ist unter zunächst unerklärlichen Umständen final verstorben, sein Bewusstsein somit für immer verloren. Und nun liegt es an James, herauszufinden, was genau passiert ist. War es Selbstmord? Mord? Oder ein terroristischer Anschlag? Hilfe erhält er dabei von Sara Kai, einer jungen Frau, die ihn aus der Ferne bei seinen Ermittlungen und Schlussfolgerungen unterstützt und beispielsweise Personalakten scannt oder Zugänge hackt. Zusammen tauchen James und Sara in eine brutale Welt voller Machtmissbrauch, Korruption und Gewalt ein, auf der Suche nach der Wahrheit. Denn die nächsten mysteriösen Todesfälle lassen nicht lange auf sich warten...

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BioShock meets Blade Runner feat. Dark City, 1920er-Edition

Unsere Ermittlungen starten wir in der Haut von James Karra selbst. In der Ego-Perspektive erkunden wir die Welt von Nobody Wants to Die, inspizieren unterschiedliche Tatorte und Örtlichkeiten oder erfahren in James Zuhause mehr über die Hintergründe seiner eigenen Geschichte und Probleme. Von der ersten Sekunde an fällt dabei eine Sache auf: Nobody Wants to Die sieht fantastisch aus und strotzt nur so vor Atmosphäre! Zunächst einmal überzeugt das grundsätzliche Design der Spielwelt in allen Belangen. Critical Hit Games mixt hier viele Zukunfts-Elemente wie teils haushohe Hologramme oder schwebende Fahrzeuge mit einer großen Portion 1920er-Jahre. So sehen sämtliche Autos aus, als kämen sie direkt aus einem klassischen Gangsterfilm, abgewetzte Ledersitze inklusive.

Die Charaktere sind gekleidet in die typische Kleidung der damaligen Zeit wie Lackschuhe, Westen und Hosenträger. Plakate, Flaschen oder andere Accessoires im damaligen Stil zeichnen ein rundes Gesamtbild. Beim Design der Umgebungen orientiert man sich am beliebten Art-Deco-Stil, den man so auch schon in BioShock bewundern konnte. Während die Gebäude an sich ein gelungener Mix aus klassischen, steinernen Hochhäusern, garniert mit überstilisierten Statuen und gewaltigen Maschinenanlagen voller Kabel und Lüftungsgitter sind, erstrahlen überall bunte Neonreklamen und übergroße Schriftzüge.

Aufgrund der anhaltenden Umweltverschmutzung ist die Sonne ein kaum gesehener Gast. Über dem ganzen Szenario liegt stets eine bleierne Dunkelheit, gepaart mit Dunstschwaden und tiefhängenden Wolken. Alles in allem erzeugt das Spiel einen brillanten Film-Noir-Vibe. Hier lässt der Genre-Klassiker Dark City schön grüßen. Nobody Wants to Die weiß dabei stets, seine Schauwerte gut in Szene zu setzen. Auch wenn unser Umgebungsradius stets sehr begrenzt und linear abgesteckt ist, so bieten sich oft atemberaubende Panoramen, die zum bewussten Verweilen und Staunen einladen. Allein durch sein Artdesign erzeugt das Spiel eine zum Schneiden dichte Atmosphäre.

Look at me!

Wie gut, dass die verwendete Unreal-Engine es schafft, die Atmosphäre überaus ansehnlich zu präsentieren. Nahezu in jeder Einstellung sieht Nobody Wants to Die schlicht fantastisch aus. Wunderschöne Beleuchtungseffekte saugen uns förmlich in das Spiel. In den zahlreichen verschiedenen Straßenebenen herrscht emsiges Treiben, während wir in den Innenräumen neben Licht und Schatten ebenfalls zahlreiche Partikeleffekte bestaunen dürfen. Und wenn wir im Rahmen unserer Ermittlungen mit der einen oder anderen Explosion konfrontiert werden, so lässt das Spiel hier richtig die Muskeln spielen. Klitzekleine Abstriche gibt es lediglich für teils etwas eckig und flackernd dargestellte Schatten in Innenräumen, sobald wir unsere Taschenlampe einsetzen.

Doch nicht nur grafisch, auch akustisch kann das Spiel überzeugen. Die englischen Sprecher machen dabei einen richtig runden Job und transportieren die Emotionen der Figuren sehr gut. Speziell James mit seinen vor Sarkasmus und Schimpfworten triefenden Kommentaren unterhält und trägt das Szenario zusätzlich. Auch wenn die Charakterzeichnung speziell in seinem Fall mit dem abgehalfterten, desillusionierten und doch irgendwie pflichtbewussten Ermittler ein wenig aus dem typischen Noir-Baukasten stammt, so sind die Figuren ein wichtiger Teil der Geschichte. Obwohl die Story inmitten einer ausufernden Großstadt spielt, die eigentlich voller Menschen sein sollte, so begegnen wir in Person nur einer Handvoll Leute. Die meiste Zeit sind wir sogar komplett alleine unterwegs und hängen düsteren Gedanken nach. Dies passt jedoch sehr gut zur Grundstimmung des Spiels, in der aufgrund der vielen Körperwechsel wohl so ziemlich jeder Bewohner mittlerweile ein einsamer Einzelgänger ohne echte soziale Bindungen ist.

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Zeitspiel

Im Zuge seiner Ermittlungen ist James glücklicherweise jedoch nicht ganz auf sich allein gestellt. Zum einen unterstützt ihn natürlich Kollegin Sara, die als Stichwortgeberin dient, unserem Ex-Cop aber auch mal ganz schön Widerworte gibt. Zum anderen kann Karra auf einige nützliche Gadgets zugreifen. So hilft beispielsweise ein UV-Scanner beim Verfolgen von Blutspuren, während ein transportables Röntgengerät uns sonst unsichtbare Aggregate entdecken lässt, die hinter Wänden angebracht sind. Am nützlichsten präsentiert sich jedoch ein Item namens Rekonstruktor, mit dem James die Zeit nach Belieben vor- und zurückspulen kann.

Dies geht jedoch selbstverständlich nicht einfach so aus dem Stand heraus. Zunächst müssen wir Hinweise betrachten, uns bestimmte Objekte anschauen oder Schussbahnen folgen, um Informationen über den jeweiligen Tatort, die dortigen Veränderungen und die Bewegungen der beteiligten Personen zu sammeln. Nach und nach ergibt sich so ein Gesamtbild, welches uns bei der Lösung des Rätsels hilft. Speziell, wenn eine Explosion im Spiel ist, zeigt sich das Feature als zusätzliches, grafisches Highlight. Schließlich erweisen sich ausbreitende Flammen und Trümmerteile in Zeitlupe als echter Augenöffner.

Während den Ermittlungen führen die Charaktere durchgehend Gespräche und analysieren das Gesehene. Dies sorgt natürlich für weitere Atmosphäre, lenkt jedoch manchmal etwas vom eigentlichen Geschehen hab. Teilweise ist es also hilfreich, zunächst dem Dialog zu lauschen und dann erst das nächste Item anzuklicken. Zwischen den Tatorten bietet sich die Gelegenheit, die vielen gesammelten Hinweise sowie den Ablauf noch einmal in Relation zu setzen. Statt einer klassischen Pinnwand nutzt James dabei jedoch einfach einen Fußboden und ein paar Flaschen zum Beschweren von Fotos oder Zeitungsausschnitten. Wir werden nun mit einer konkreten Fragestellung konfrontiert und müssen die Hinweise entsprechend zuordnen. Hierrüber ergeben sich dann wiederum neue Fragen, die wir beantworten müssen. Liegen wir mit unserer Schlussfolgerung einmal falsch, so zeigt uns das Spiel dies auch direkt unmissverständlich an.

Natürlich bietet solch ein System gerne mal ein wenig Trial and Error, wenn wir nicht genau verstehen, worauf man jetzt eigentlich hinaus möchte. Doch dies hält sich erfreulicherweise in Grenzen und stört den Spielfluss daher überhaupt nicht. Unter dem Strich laufen die Ermittlungen stets ähnlich ab. Wir betreten einen Tatort, scannen, spulen Zeit vor und zurück und lösen somit im Anschluss das Puzzle um das Mysterium, was genau passiert ist. Die in Summe sehr überschaubare Spielzeit von fünf bis sechs Spielstunden bewahrt das Gameplay aber definitiv davor, allzu repetitiv zu werden.

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Entscheide dich, aber schnell!

So linear die Ermittlungsarbeit abläuft, so non-linear präsentieren sich wiederum die Dialoge. Im Laufe der Geschichte hat James stets mehrere Antwortmöglichkeiten zu Auswahl. Während manche davon lediglich eine leicht andere Aussage unseres Gegenübers bewirken, ändern andere Entscheidungen wiederum den Verlauf der Story in Bezug auf die Auflösung. Haben wir bestimmte Objekte vor einem Dialog bereits gesichtet, so öffnen sich teilweise sogar neue Frage- oder Antwortmöglichkeiten, die uns sonst verwehrt geblieben wären. In den meisten Dialogen können wir in Ruhe überlegen, wie wir antworten möchten. Oftmals steht uns jedoch auch nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung, um unsere Wahl zu treffen. Hier gilt es also, sich schnell zu entscheiden, bevor das Spiel dies für uns übernimmt.

Von simplen Dialogänderungen bis hin zu schwierigen, moralischen Entscheidungen bietet das Spiel eine ordentliche Bandbreite an Möglichkeiten. Dies gipfelt darin, dass wir in Nobody Wants to Die mehrere unterschiedliche Enden erleben können, je nachdem, wie wir in bestimmten Situationen reagiert haben. Der Widerspielwert für einen zweiten Durchgang ist somit definitiv gegeben. Je nach erreichtem Finale bleiben im Nachgang durchaus einige Fragen offen, es lohnt sich hier also, einen Blick auf die weiteren Enden zu werfen. Da das Spiel jedoch stets automatisch speichert, müssen wir für einen erneuten Durchgang zum Erreichen eines anderen Story-Abschlusses das Spiel erneut komplett durchspielen. Im Vergleich zu anderen Genre-Vertretern wirken fünf bis sechs Spielstunden natürlich zunächst einmal sehr kurz. Dem Spielspaß tut dies jedoch keinen Abbruch, denn aufgrund der Kompaktheit entsteht kein Leerlauf oder Spielzeitstreckung. Die komplette Story-Erfahrung ist in sich stimmig und rund und unterhält wie eine gute Mini-Serie, auch wenn sie sicherlich das Rad nicht neu erfindet.

Fazit

Eines vorab: Ich liebe dystopische Szenarien mit Noir-Einschlag im Stile eines Blade Runner, Dark City, Deus Ex, BioShock, Cloudpunk, In Time oder Cyberpunk. Insofern rennt Nobody Wants to Die mit seinem Setting bei mir natürlich offene Türen ein. Dafür ist eine gewisse Fallhöhe jedoch auch durchaus gegeben, denn die Liste der brillanten Vorlagen ist lang. Glücklicherweise schafft es das Spiel, diesen hohen Standard zu halten. Zuallererst kann die Spielwelt, Atmosphäre und Hintergrundgeschichte von Nobody Wants to Die absolut überzeugen. Nahezu jede Minute der Spielzeit versprüht eine zum Schneiden dichte Atmosphäre. Hierbei erweist sich der Mix aus düsterer Zukunft und 20er-Jahre-Kleidung, Fahrzeuge und Accessoires als großer Pluspunkt, der eine gewisse Eigenständigkeit in das Design bringt, die das Spiel von der Konkurrenz abhebt.

Zusätzlich getragen wird die Stimmung von der hervorragenden Soundkulisse sowie den toll vertonten Dialogen. Und auch die Story mit ihren philosophischen Anklängen weiß zu überzeugen und bietet durchweg spannende Unterhaltung mit interessanten Entwicklungen. Im Bereich des Gameplays zeigt sich Nobody Wants to Die als eine Art Walking-Simulator mit Puzzle-Elementen. Oftmals bewegen wir uns nur fort und lauschen den Dialogen, doch bei den Ermittlungen müssen wir selbst aktiv werden. Die Möglichkeit, die Zeit zu manipulieren, sowie Gadgets wie die UV-Lampe oder das Röntgengerät bilden das Kern-Gameplay. Zwar laufen die Ermittlungen letztlich stets sehr ähnlich ab, die Kürze der Story bewahrt diese jedoch definitiv davor, repetitiv zu werden.

Nobody Wants to Die ist das Erstlingswerk des polnischen Entwicklerstudios Critical Hit Games. Dies merkt man dem Spiel jedoch zu keiner Zeit an, denn das Gesamtpaket ist rund, stimmig und nahezu fehlerfrei, was in der heutigen Gaming-Welt ja auch keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Alles in allem liefert das Studio somit ein wirklich gelungenes und beeindruckendes Debüt, welches ich Fans von Spielen mit dystopischem Setting sowie Fokus auf narrativem Gamedesign definitiv ans Herz legen kann. Ich persönlich würde mich freuen, künftig weitere Spiele solcher Machart erleben zu dürfen und zücke daher mit Freuden die Höchstwertung.

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Pro:
  • Extrem gelungene, düstere Dystopie- / Noir-Atmosphäre
  • Grafisch herausragend
  • Spannende, philosophische Geschichte
  • Sehr gute, englische Sprachausgabe
  • Atmosphärischer Soundtrack
  • Interessante Ermittlungs-Gadgets
  • Viele Entscheidungsmöglichkeiten in den Dialogen
  • Mehrere mögliche Enden bieten Wiederspielwert
Contra:
  • Winzige Grafik-Fehler (eckige Schatten bei Taschenlampen-Einsatz)
  • Vergleichsweise kurze Spielzeit von rund sechs Stunden
Story:
5 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Gameplay:
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Grafik:
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Sound:
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Atmosphäre:
5 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Unsere Wertung: 10.0 / 10
TestingBuddies Award Gold
Spiel getestet auf: PS5
Alex Jung

Alex Jung

Seit dem ersten Gameboy begeisterter Konsolenzocker. Neben Rennspielen, Action-Adventures und JRPGs sind auch Indie-Perlen gerne im Laufwerk gesehen. Zu den Lieblingsspielen gehören GTA Vice City, Metal Gear Solid, Overboard, Ys VIII, die Uncharted- und Forza-Horizon-Reihe sowie Gran Turismo 7.

Kommentare

FinchBuddie am 13. August 2024 um 09:27

Sieht sehr sehr vielversprechend aus. Danke für den Einblick!

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Alex Jung(Team) am 20. August 2024 um 20:39

Gerne :-)

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