

Pivot of Hearts im Test: Zwischen GameDev, Tarot und dem Chaos der Gefühle
Visual Novels sind oft ein sanfter Rausch aus Worten und Bildern, Pivot of Hearts geht jedoch einen Schritt weiter. Es ist mehr als nur eine romantische Geschichte oder ein typisches „Dating Sim“. Es ist ein Spiel über Identität, Sehnsucht und die Frage, wie man sich selbst treu bleibt – selbst wenn die Welt um einen herum ins Wanken gerät. Mit einem ungewöhnlichen Mix aus Spieleentwicklung, Tarot-Karten und einer Prise Rockmusik schickt uns das Werk von Dragonroll Studio auf eine Reise, die so facettenreich ist wie das Leben selbst.
Ein Herz auf der Suche: Die Geschichte von Wén Xiàn
Im Mittelpunkt steht Wén Xiàn, ein taiwanesisch-brasilianischer Spieleentwickler, der nach einer Zeit der Isolation sein Leben neu ordnet. Was auf den ersten Blick wie ein typisches Visual Novel beginnt, entfaltet sich schnell zu einer vielschichtigen Erzählung über Liebe, Selbstfindung und die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen. Wén begegnet dabei Etsuko, einer wichtigen Figur aus seiner Vergangenheit, die alte Wunden aufreißt, und Cauã, einem Kollegen, mit dem sich eine zarte Verbindung entwickelt.
Doch Pivot of Hearts erzählt nicht einfach eine „Boy meets Girl“-Geschichte. Vielmehr wirft es einen realistischen Blick auf nicht-monogame Beziehungen und die Unsicherheiten, die entstehen, wenn Liebe nicht in klassische Schubladen passt. Es geht um Nähe und Distanz, um Vertrauen und Zweifel und um die schmerzhafte Erkenntnis, dass man nicht alle retten kann, auch wenn man es gerne würde.
Wéns Weg ist geprägt von Momenten der Leichtigkeit, wie gemeinsamen Tabletop-Runden oder Konzertbesuchen, aber auch von schmerzhaften Erinnerungen und der Frage: „Wer bin ich eigentlich, und wer will ich sein?“ Diese emotionale Tiefe macht Pivot of Hearts so besonders, es erzählt keine simple Lovestory, sondern ein Mosaik aus Begegnungen, Entscheidungen und den leisen Zwischentönen des Alltags.
Karten, Klänge und kleine Macken: Präsentation und Technik
Optisch ist Pivot of Hearts ein Genuss: Der handgezeichnete Artstyle verleiht den Charakteren und Hintergründen eine warme, persönliche Note. Besonders gelungen ist die Farbgestaltung, die je nach Szene mal verträumt, mal düster wirkt, ein visuelles Echo auf Wéns emotionale Reise. Auch die Tarot-Elemente fügen sich stimmig ein: Karten repräsentieren Entscheidungen, Gedanken und Gefühle, und das Kartenspiel-Element bringt eine schöne Abwechslung ins Gameplay. Ebenfalls wurden die Orte im Spiel den reallen Orten in São Paulo nachempfunden.
Musikalisch begleitet uns ein zurückhaltender Soundtrack, der mit dezenten Klavierklängen und sanften Beats die Stimmung untermalt. Doch nach einigen Stunden beginnt die Musik, sich spürbar zu wiederholen, hier wäre mehr Variation wünschenswert gewesen, um den emotionalen Szenen noch mehr Gewicht zu verleihen.
Technisch läuft Pivot of Hearts grundsätzlich stabil, doch es gibt kleine, aber störende Auffälligkeiten: Nach längeren Spielsessions, oft nach etwa einer halben Stunde ohne Zwischenspeichern, treten kurze Flacker-Effekte auf, fast so, als ob das Spiel kurz „durchschnaufen“ müsste. Ab diesem Zeitpunkt ist Vorsicht geboten, denn das Flackern scheint ein Vorbote für Abstürze zu sein. Wer dann versucht zu speichern, riskiert, dass das Spiel sich komplett verabschiedet. Das ist besonders ärgerlich, weil gerade in einer Visual Novel mit mehreren Entscheidungspfaden der Verlust von Spielfortschritt besonders schwer wiegt.
Entscheidungen mit Gewicht – aber ohne große Schocks
Spielerisch bleibt Pivot of Hearts ein klassisches Visual Novel, ergänzt durch das Tarot-Feature, das Wéns innere Welt reflektiert. Entscheidungen beeinflussen den Verlauf der Geschichte spürbar, mit insgesamt fünf Enden, die von leisen Happy Ends bis hin zu bittersüßen Abschlüssen reichen. Überraschende Plot-Twists oder Schockmomente à la Doki Doki Literature Club sucht man hier jedoch vergebens. Stattdessen setzt das Spiel auf langsame, realistische Entwicklungen und den schmerzlichen, aber authentischen Prozess, Beziehungen aufzubauen und manchmal auch wieder loszulassen.
Gerade diese Entschleunigung ist Fluch und Segen zugleich: Wer sich auf die stille Tiefe einlässt, wird mit vielen emotionalen Momenten belohnt, doch wer den großen Nervenkitzel sucht, könnte sich stellenweise unterfordert fühlen.
Fazit
Pivot of Hearts ist eine ruhige, nachdenkliche Geschichte über Liebe, Selbstfindung und die Unsicherheiten, die entstehen, wenn man sich selbst neu kennenlernt. Mit viel Herz erzählt es von Wén Xiàns Weg durch Erinnerungen, neue Freundschaften und die bittersüße Erkenntnis, dass nicht jede Geschichte ein klares Happy End braucht. Es glänzt durch authentische Figuren, eine emotionale Story und liebevolle Gestaltung, stolpert jedoch über technische Schwächen und eine sich wiederholende musikalische Untermalung.
Wer Geduld mitbringt, sich auf die leisen Töne einlassen will und bereit ist, sich in eine komplexe, realistische Erzählung zu vertiefen, wird hier ein Spiel finden, das lange nachhallt.
- Authentische, glaubwürdige Charaktere
- Realistische Darstellung von nicht-monogamen Beziehungen
- Tiefgründige Story über Liebe, Selbstfindung und Zweifel
- Wunderschöner handgezeichneter Artstyle
- Tarot-Feature als stimmige Ergänzung
- Ruhige, entschleunigende Spielatmosphäre
- Emotionale Entscheidungen mit spürbaren Konsequenzen
- Tabletop- und Musikthemen als charmante Details
- Technische Probleme: Blackscreens und Abstürze beim Speichern
- Musik wiederholt sich zu häufig
- Wenig überraschende Wendungen
- Teilweise vorhersehbare Dialoge
- Keine Sprachausgabe, nur Text
- Langsames Erzähltempo nicht für jeden geeignet
- Begrenzte Gameplay-Elemente abseits der Visual Novel-Formel

Webentwickler, Technik-Nerd und Gamer aus Leidenschaft seit der Kindheit, mit einem Faible für die komplette The Legend of Zelda- und Halo-Reihe. Dazu fast keine Konsolengeneration ausgelassen und auch sehr interessiert an Indie-Games.