Botany Manor im Test: Pflanzenkunde im viktorianischen Herrenhaus
Hurra, hurra, der Lenz ist da! Passend zum Start der neuen Blühsaison darf in Botany Manor nun ebenfalls fleißig gegärtnert werden. Doch nicht nur das, denn die Entwickler von Balloon Studios haben das Gartenspiel kurzerhand mit einem entspannten Puzzle-Adventure-Ansatz gekreuzt. Während sich der Frühling in der Realität gerade noch einmal eine kleine Temperaturverschnaufpause gönnt, haben wir unseren grünen Daumen gezückt, tatkräftig die Ärmel hochgekrempelt sowie Eimer und Schaufel geschnappt. Ob die virtuelle Saat auch zu einer blühenden Pflanze gedeiht, zeigt sich in unserem Test.
Botanische Forschung in den eigenen vier Wänden
In Botany Manor verschlägt es uns ins englische Somerset im Jahre 1890. Hier lebt Arabella Greene auf einem riesigen, viktorianischen Anwesen und frönt aufgeweckt ihrer größten Leidenschaft: Der Botanik. Das erscheint für viele allerdings absolut sonderbar, da es nun mal doch ziemlich ungewöhnlich ist, wo ihre Prioritäten liegen. Die Herrin des Hauses hat nämlich keinen Ehemann – und dann behauptet sie auch noch, nicht einfach nur hobbymäßig zu gärtnern, sondern gar zu forschen. Als Frau!
Aber Arabella lässt sich trotz Gegenwind nicht beirren, denn sie möchte ihren Beitrag dazu leisten, um die Pflanzenwelt besser zu verstehen. Ihren eigenen Forschungsplatz hat sie sich ungeachtet der kritischen Stimmen im wahrsten Sinne des Wortes direkt vor der Haustür eingerichtet. Schließlich bietet die Familienresidenz Botany Manor samt umliegenden Gärten hierfür mehr als genug Platz. Gerade zurückgekehrt von einer Forschungsreise verfolgt sie also weiter ihre Vision, da schließlich noch ein paar außergewöhnliche Pflanzen in ihren Aufzeichnungen fehlen. Mit ihrem Arbeitsbuch und Equipment in der Hinterhand, macht sie sich daher motiviert daran, näheres über die Gewächse herauszufinden und sie zum Keimen zu bringen.
Da geht der Gärtner!
Und hier kommen natürlich wir ins Spiel, denn wir schlüpfen in die Haut von Arabella. Botany Manor erleben wir dabei komplett aus der Egoperspektive. Im Stile eines klassischen Walking-Simulators wandern wir quer über das Gelände des namengebenden Herrenhauses, um unsere Untersuchungen vorzunehmen. Da das Spiel einen Cozy-Game-Ansatz verfolgt, ist die Fortbewegung eher gemächlicher Natur, auch wenn wir unseren Schritt per Tastendruck etwas beschleunigen können. Ähnlich wie bei Everybody’s Gone to the Rapture, aber mit komplett anderer Grundstimmung, begegnen uns im gesamten Spielverlauf keinerlei andere Personen. Wir sind in einer friedvollen Atmosphäre ganz bei uns und unseren Forschungen. Selbst ein Spiegelbild von Arabella bekommen wir nicht zu Gesicht.
Dennoch wird ihre Geschichte weitererzählt, die wiederum nicht ganz so harmonisch ist. Hierzu dienen Notizen, die überall verstreut zu finden sind. Obwohl es keine Vertonung oder NPCs gibt, mit denen wir interagieren können, schafft es Botany Manor, Arabellas Werdegang von Anfang bis Ende gut fortzuführen. So sagt es zum Beispiel schon etwas über ihren Charakter aus, wie unsere Protagonistin ein Schriftstück aus alten Tagen bewertet, wenn wir es beim Brennholzstapel entdecken. In den Briefen ist die Thematik der Diskriminierung der Frau in der damaligen Zeit zumeist präsent. So finden wir eine Studienplatzabsage aufgrund des Geschlechts oder einen vermeintlich guten Rat, eine Entdeckung auf keinen Fall für sich zu behalten, die Veröffentlichung und fortführende Forschung aber bitte jemand Männlichem mit Kompetenz zu überlassen. Und doch gehen wir als Arabella stets unseren eigenen Weg, denn wir stecken ja gerade auch aktuell inmitten einer Forschung. Papiere mit unterstützenden Stimmen, die wir glücklicherweise ebenfalls finden, bestärken uns natürlich darin. Die Erzählung drängt sich aber zu keiner Zeit in den Vordergrund, sondern begleitet eher beiläufig. Vielleicht hätte noch etwas mehr daraus gemacht werden können, aber alles in allem liefert die Story einen schönen, runden Rahmen für das Spielgeschehen.
Flora- und Fauna-Denksport
Das Kernelement von Botany Manor ist aber ein anderer Aspekt, nämlich der Puzzle-Adventure-Ansatz. Neben den Story-Notizen finden wir durchweg diverse nützliche Hinweise und Dinge, mit denen es Rätsel zu lösen gilt. Unser Ziel ist es selbstredend, die leeren Seiten in Arabellas Buch mit Leben zu füllen. Damit wir etwas über die auserkorenen Pflanzen zum Niederschreiben haben, müssen wir es schaffen, dass aus den Samen, die wir im Herrenhaus finden, ansehnliche Gewächse werden. Die Krux liegt allerdings darin, dass wir nicht wissen, welche Begebenheiten die einzelnen Setzlinge dafür benötigen. Glücklicherweise hat Arabella die notwendigen Inspirationen aber bereits direkt vor der Nase – nämlich verstreut im Herrenhaus. Ganz im Sinne des Forschergedanken sammeln wir also zunächst einmal überall Informationen ein. Im Anschluss müssen wir diese dann den Pflanzentypen zuordnen, daraus die Pflanzbedingungen ableiten und im Experiment testen. Haben wir richtig kombiniert, werden wir schließlich mit schönen Wachstumssequenzen unserer Sprösslinge belohnt.
Das Spiel ist in fünf Kapitel unterteilt. Pro Kapitel widmen wir uns einer bestimmten Anzahl an Pflanzentypen. Passend hierzu erschließen sich uns auch nach und nach neue Teile von Arabellas Anwesen, zum Beispiel, weil einer ihrer Freunde gerade am Haupttor einen versehentlich eingesteckten Schlüssel wieder zurückgegeben hat und wir nun das entsprechende Schloss damit aufschließen können. Manchmal müssen wir aber auch unsere Kombinationsgabe unter Beweis stellen, um weiterzukommen. So scheint eine Frage um ein Priesterloch zunächst nicht mit einem unserer Samen in Verbindung zustehen, hilft uns letztendlich aber dann doch dabei, die entscheidende Entdeckung zu machen.
Jede Pflanze selbst wartet natürlich ebenfalls mit einer eigenen Herausforderung auf. Während eine Gattung zum Wachsen eine besondere Temperatur braucht, gedeiht die andere nur, wenn eine gewisse Windstärke herrscht. Die nächste Art benötigt wiederum ein bestimmtes Lichtspektrum, bevor sie in die Höhe sprießt. Die Wachstumsanforderungen sowie die Eigenschaften der Pflanzen sind dabei fantasievoll und unterhaltsam überzeichnet. So schafft es beispielsweise die erste Blume, nachdem wir sie erfolgreich gehegt und gepflegt haben, scheinbar den kompletten Industrialisierungssmog von ganz England weg zu filtern. Eine solche Fähigkeit wäre zwar zweifellos praktisch, dürfte sich in der Realität mit einer einzigen Blüte aber als etwas schwierig erweisen.
Sämtliche Rätsel sind abwechslungsreich und kurzweilig gestaltet. Sie regen in genau dem richtigen Maß zum Nachdenken und Kombinieren an, ohne jedoch zu frustrieren. Lediglich die Gestaltung der gesammelten Hinweise in Arabellas Buch sorgt für einen kleinen Dämpfer beim Rätselspaß. Zum einen sind sie, wenn wir sie einem Typus zugeordnet haben, sehr klein dargestellt und dadurch schlecht lesbar. Gerade wenn wir eine Einordnung überprüfen oder korrigieren wollen, hemmt dies etwas den Spielfluss. Zum anderen lassen sich die Hinweise leider aus dem Buch heraus nicht mehr aufrufen. Wenn wir uns also nicht mehr sicher sind, was der Hinweis im Detail enthielt, müssen wir noch einmal in Richtung Fundort losmarschieren und vor Ort nachsehen. Hier wäre eine kleine, spielerische Unterstützung durchaus hilfreich gewesen.
Eine charmante Idylle
Das Cozy-Game wird durch die Soundkulisse sehr gut unterstützt. Die Musik trägt mit dezenten Klängen zu einer behaglichen Atmosphäre bei und hält sich mit einer eher sparsamen Verwendung sanft im Hintergrund. Dennoch schafft sie es, uns zum Beispiel fröhlich klingend zu motivieren, wenn wir einen entscheidenden Hinweis ausfindig gemacht haben. In den Bereichen, in denen uns keine Musik umgibt, bleibt es indes nicht komplett still. Stattdessen begleiten uns hier andere Töne wie friedvolles Vogelgezwitscher. Dies sorgt natürlich insbesondere im Freien für ein schönes, entspanntes Garten-Feeling.
Botany Manor selbst kann sich auch wirklich sehen lassen. Obwohl wir ja komplett allein unterwegs sind, erscheint es nicht trist oder gar leer, denn wir finden überall Elemente, die für Lebendigkeit sorgen. So entdecken wir zum Beispiel angerichtete Sandwiches auf einem Tischchen im Garten, als wäre gerade erst vor einer Sekunde noch jemand hier gewesen, den wir nur knapp verpasst haben — wobei es durchweg schon etwas amüsant ist, dass die Bediensteten, Freunde oder gar Arabella selbst gefühlt an jeder Ecke des Anwesens ein Picknick veranstaltet haben, so gehäuft, wie uns gerade dieses Stilmittel begegnet. Obwohl wir uns im gesamten Spielverlauf von, je nach Spieltempo, vier bis fünf Stunden nur auf dem Gelände des Herrenhauses aufhalten, ist durchgehend für Abwechslung gesorgt. In einem munteren Mix entdecken wir drinnen wie draußen verschiedene Bereiche, die die jeweilige Charakteristik und Stimmung hervorragend einfangen. Räume wie die Küche oder das Atelier sind dabei genauso farbenfroh gestaltet wie der Garten — oder besser die Gärten, denn auch hier gibt es zum Beispiel mit dem Obst- oder französischen Garten verschiedene Varianten.
Der Grafikstil verfolgt dabei einen eher stilistischen Ansatz. Manche Büsche und Bäume sehen daher beispielsweise auf angenehme Art einladend flauschig aus. Hin und wieder begegnen uns allerdings leider auch Clippingfehler und insbesondere der Efeu zittert und flackert bei unserem Erscheinen ziemlich nervös, gerade so, als würde er befürchten, gleich abgeschnitten zu werden. Dennoch sehen alle Bereiche wirklich wunderschön aus und bieten zahlreiche, ergänzende Optionen zur gemütlichen Entspannung. Überall laden uns in einem schönen, stimmigen Feature diverse Bänke und andere Sitzgelegenheiten ein, einfach einmal innezuhalten, um die Umgebung in Ruhe auf uns wirken zu lassen und sie zu genießen.
Fazit
Bunt, gemütlich und stimmungsvoll — das Cozy-Game hält, was es auf den ersten Blick verspricht. Botany Manor lädt in einem entspannten Tempo dazu ein, neugierig und mit offenen Augen durch seine Spielwelt zu streifen. Die Wahl eines englischen Herrenhauses passt meiner Meinung nach hierfür sehr gut, da ein solches in Erzählungen ja gerne mit Geheimnissen verbunden wird und aufgrund der Größe, insbesondere der Außenareale, genug Spielraum für Erkundungen liefert. Sämtliche Räume und Gartenanlagen wurden stimmungsvoll und abwechslungsreich gestaltet und warten mit lebendigen Elementen auf. Die farbenfrohe Optik und ruhige Soundkulisse tragen weiter zu der beschaulichen Atmosphäre rund um das Puzzle-Kernelement bei. Die Pflanzen- und Umgebungsrätsel sind kurzweilig gestaltet und führen schnell zu einem gewissen Sog, immer weiter voranschreiten zu wollen. Die Schwierigkeit liegt dabei im richtigen Maß, um zwar etwas nachdenken zu müssen, aber nicht auf ewig frustriert im Dunkeln zu tappen.
Auch die Rahmengeschichte um Arabella, die konsequent ihren Weg verfolgt und sich von den Hürden, die ihr in den Weg gestellt werden, nicht aufhalten lässt, hat mir gut gefallen. Sie hätte allerdings vielleicht noch ein wenig mehr ausgebaut werden können. Lediglich ein paar kleinere Schwächen haben den Spielspaß etwas gedämpft. Hier lassen sich zum einen die Clippingfehler und zum anderen die fehlende Option, bereits gesammelte Hinweise erneut aus Arabellas Arbeitsbuch heraus aufrufen zu können, nennen.
Alles in allem hatte ich aber wirklich so viel Spaß mit Botany Manor, dass ich schon regelrecht traurig war, als nach der relativ kurzen Spielzeit der finale Abspann über den Bildschirm lief. Gerne hätte ich noch ein wenig mehr Zeit in der erholsamen Idylle des englischen Herrenhauses verbracht und weiteren Pflanzen zum Blühen verholfen.
- Schöne, farbenfrohe Optik mit abwechslungsreichen Gebieten
- Entspannende, ruhige Soundkulisse
- Gemütliches Erzähltempo
- Story bietet einen guten Rahmen für den Rätselspaß
- Kreative und fantasievolle Aufgabenstellungen
- Rätsel fordern genau im richtigem Maß
- Teilweise Clippingfehler und flackerndes Efeu
- Gesammelte Hinweise aus Arabellas Arbeitsbuch heraus nicht aufrufbar
- Zugeordnete Hinweise im Arbeitsbuch schlecht lesbar
Konsolenzockerin seit der Kindheit, bevorzugt auf der PlayStation. Zu den Lieblingsspielreihen gehören Grandia, Project Zero, Tomb Raider, Uncharted und Tekken, aber es finden auch gerne mal Indie-Titel den Weg auf den Bildschirm.