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Review

Jusant im Test: Im Klettersteig hoch hinaus

Von Nicolas Große am 13. Dezember 2023. Getestet auf PC. Zum Spiel hier klicken.

Kein Kampf, keine Dialoge, keine Quests und eine desolate, vereinsamte Welt, in der das einzige Ziel das Erklimmen eines Berges ist. Wenn man sich das durchliest, klingt Jusant eher nach einem Spiel von Team Ico oder Thatgamecompany, umso verwunderlicher, dass es von den Life–is-Strange-Entwicklern Dontnod entwickelt wurde. Was am Ende dabei herausgekommen ist, erfahrt ihr in unserem Test.

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Was nach der Ebbe bleibt

Jusant klingt nicht nur nach einem neuen Renault-Fünftürer, es ist obendrein ein französischer Begriff aus der Seefahrt und steht für die Ebbe. Diese namensgebende Ebbe hat den Meeresspiegel in Jusants Welt so weit zurück verschoben, dass sie das Wasser und alle Menschen, die früher auf dem Turm einer schier endlos hohen Klippe lebten, mit sich nahm. Alles, was jetzt noch darauf schließen lässt, dass der Turm früher vom Leben erleuchtet wurde, sind die Skelette ausgeschlachteter Boote und die Utensilien, die auf der Reise durch die Einöde und bei der Suche nach Wasser keinen Nutzen mehr erfüllten. Unsere Protagonistin möchte gemeinsam mit ihrem kleinen, blau-weißen tierischen Wegbegleiter den Turm erklimmen, um dabei herauszufinden, was die Jusant auslöste, was aus den Bewohnern des Turms wurde.

Dabei erzählt Jusant seine Geschichte nicht durch Charakter-Dialoge oder Audio-Logs, sondern indirekt durch die Spielwelt und die Briefe, die von den Bewohnern des Turms zurückgelassen wurden. Das klingt erstmal artsy-fartsy, passt aber thematisch sehr gut zu der Stimmung, die Jusant aufbaut. Da es hier nicht um Level-ups, schwierige Bosskämpfe oder grandiose Questlines geht, fanden wir den ruhigen, introspektiven Ansatz passend gewählt und mehr als ansprechend. Wir ertappten uns beim Spielen immer wieder bei Gedanken wie "Was bleibt von uns in ein paar Jahrhunderten übrig?” oder “Wie würden wir damit umgehen, wenn sich die Natur gegen uns stellt und unser Leben bleibend verändert?”. Derart anregende Gedanken werden selten taktvoll in Videospielen behandelt und dafür, dass Dontnod es in Jusant so mühelos wirken lässt, hat sich das Team schon mal unseren Respekt verdient. Besonders die Tagebucheinträge von Bianca, die sich als junge Frau ebenfalls auf den Weg gemacht hat, um den Turm auf der Suche nach Wasser zu erklimmen, haben wir mit Interesse weiter verfolgt und gerne gelesen. Wo wir gerade beim Erklimmen sind:

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Stock und Stein sollen kein Hindernis sein

In Jusant wird geklettert — und zwar reichlich. Dabei müssen Spieler einen genauen Blick auf ihre Umgebung werfen, um potenzielle Routen zu finden und diese anschließend durch das abwechselnde Betätigen des linken und rechten Triggers ihres Controllers, eine Hand nach der anderen zu erklimmen. Dabei kostet jeder Handwechsel eine kleine Menge an Ausdauer und jeder Sprung eine große Menge an Energie. Wenn eine Kletter-Etappe lang genug andauert, ohne dass die Spielfigur festen Boden unter den Füßen zum Ausruhen hat, wird nach und nach die maximal verfügbare Ausdauer eingeschränkt, bis diese nicht mehr ausreicht, um einen Sprung auszuführen. So entsteht ein Balanceakt zwischen der Navigation der Spielwelt und dem Ausdauer-Management der Spielfigur. Dazu kommt der Einsatz von Sicherungshaken, durch die sich tiefe Stürze vermeiden lassen und die als Savepoint fungieren, sodass die Spieler im Falle eines Sturzes nicht wieder alles von vorne klettern müssen. Stattdessen können wir uns per Seilwinde einfach zum letzten Sicherungshaken hochziehen lassen und weiter geht es im Klettersteig. Mit diesem Wissen bewaffnet arbeitet man sich Stück für Stück, Biom für Biom immer weiter Turm aufwärts — apropos Biome:

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Simpel und doch komplex

Jusant kommt mit einem ungewöhnlichen Look daher, da sich Dontnod bewusst gegen hochauflösende Texturen entschieden hat. Stattdessen wurden die grafischen Features der Unreal Engine 5 dafür genutzt, um Jusants Optik durch seine Lichtstimmungen von anderen Spielen abzuheben. Höhlen werden vom Schimmer neonfarbener Pilzkolonien erleuchtet, harsches Sonnenlicht prallt an den kargen Klippen des Turms ab. Es färbt einzelne Furchen durch indirekte Belichtung rötlich, lässt physikalisch akkurate Schatten entstehen und erdet so selbst das kleinste Objekt unter freiem Himmel in der Spielwelt. Passend dazu übernimmt die Musik gemeinsam mit der Soundkulisse eine eher atmosphärische Rolle und reiht sich bis auf vereinzelte Momente weitestgehend  im Hintergrund ein. Insgesamt schafft es Jusant, ein mehr als stimmiges audio-visuelles Gesamtbild zu erzeugen, das eine eigene Identität bewahrt und sich mit anderen Adventure-Games messen kann, selbst wenn uns die eine oder andere Piano-Ballade mit Streicherbegleitung etwas unoriginell vorkam.

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Fazit

Als ich Jusant das erste Mal während einer Xbox-Präsentation sah, war ich gleichzeitig interessiert und besorgt. Interessiert, weil ich schon länger der Meinung bin, dass Bergsteigen als Gameplay-Setting genug interessante Herausforderungen zutage fördert, um ein spaßiges, originelles Spiel hervorzubringen. Aber eben auch besorgt, da nonverbale Adventure-Games gerne mit einer einzigartigen Ästhetik protzen und dafür an abwechslungsreichen Gameplay sparen, was meist in einer oberflächlichen und kurzweiligen Erfahrung resultiert. Nach meinem Playthrough kann ich aber Entwarnung geben, denn Jusant leistet sich im Gameplay wie auch in seiner Optik keine Blöße. Die Mechaniken sind simpel und gleichzeitig komplex genug, um den Spieler über die Spieldauer hinweg gut bei der Stange zu halten, während Sound und Grafikdesign in Verbindung mit der indirekt erzählten Geschichte eine interessante Welt schaffen, in der ich mich gerne aufgehalten habe. Selbst die vergleichsweise kurze Spielzeit kann ich verschmerzen, da sich Gameplay und Setting so nicht unnötig in die Länge ziehen und frisch bleiben.

Pro:
  • Kompetentes Worldbuilding
  • Zugängliches Gameplay
  • Eigenständige Optik
  • Interessantes Storywriting
Contra:
  • Vergleichsweise kurze Spielzeit
Story:
4 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Gameplay:
4 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Grafik:
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Sound:
4 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Atmosphäre:
5 von 5 BuddiesBuddyBuddyBuddyBuddyBuddy
Unsere Wertung: 8.0 / 10
Spiel getestet auf: PC
Nicolas Große

Nicolas Große

Nic wurde in seiner frühen Jugend auf den Dopaminkick gefixt, den eine neue mediale Erfahrung mit sich bringt. Um diese Sucht zu befriedigen, sucht er im Bereich der Videospiele das Ungewöhnliche, Exzentrische und Abgehobene. Zu seinen Lieblingen zählen die Metal Gear Solid - Serie, Max Payne 3, Mirrors Edge, Hunt: Showdown und Hotline Miami.

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