SEASON: A letter to the future im Test: Ein melancholischer Roadtrip
Mit SEASON: A letter to the future bringt uns das kanadische Entwicklerstudio Scavengers ein interessantes, narratives Abenteuer, welches bereits 2020 angekündigt wurde und nun Ende Januar 2023 endlich auf unseren Konsolen landet. Dabei präsentiert sich der melancholische Roadtrip als interessanter Mix aus Adventure und Walking-Simulator aus der Third-Person-Ansicht, in dem wir uns aber auch per Fahrrad fortbewegen können. Wir sind natürlich für euch direkt auf den Sattel gestiegen, haben kräftig in die Pedale getreten und versucht, einen Brief an die Zukunft zu verfassen.
Das Ende einer Ära
In SEASON: A letter to the future finden wir uns in einer vertrauten, aber auch fremdartigen Welt wieder. Unsere Hauptfigur, eine junge Frau, hat ihren malerischen Heimatort Caro, der sich postkartenreif an einen Berghang schmiegt, noch nie verlassen. Doch natürlich existiert auch noch eine Welt außerhalb von Caro, deren Geschichte wir überliefert bekommen haben. So gab es neben einem goldenen Zeitalter leider auch eine Ära des Krieges, welche ganze zehn Jahre andauerte.
Wenn eine Epoche beginnt, so muss sie zwangsläufig auch wieder zu einem Ende kommen. An einem solchen Scheidepunkt befinden wir uns, denn unser aktuelles Zeitalter ist im Begriff, zu enden. Und dies scheint wohl ein sehr radikaler Schnitt zu sein, denn es steht zu befürchten, dass sehr vieles, was jetzt Bestand hat, für immer verschwinden wird. Darauf deutet jedenfalls eine Prophezeiung hin, die in Caro ihre Runden macht. Dementsprechend lethargisch geben sich die Bewohner dieser Welt, denn das nahende Ende wird meist einfach so hingenommen.
Das möchte unsere junge Hauptfigur jedoch nicht so tatenlos über sich ergehen lassen. Und so macht sie sich auf, zum ersten Mal in ihrem Leben die Grenzen ihres Heimatdorfs zu überschreiten, um Erinnerungen an die Welt zu sammeln, die sie in einem Tagebuch niederschreiben möchte. Als hilfreich erweisen sich dabei eine Sofortbildkamera und ein Audiorekorder, über den sie alle möglichen Geräusche aufnehmen kann. Auf diese Reise, die dem Zweck dient, den titelgebenden Brief an die Zukunft zu erstellen, begleiten wir nun die junge Frau.
Mama ist stolz
Unter der Prämisse, dass eine ganze Ära endet und vieles wohl unmittelbar im Begriff ist, für immer verloren zu gehen, ist SEASON natürlich keine allzu fröhliche Erfahrung. Über dem ganzen Spiel liegt eine durchdringende Melancholie, Lethargie und auch Traurigkeit. Dieses Gefühl erzeugt bereits unser Aufbruch aus Caro. Unsere Hauptfigur lebt mit ihrer Mutter zusammen, welche sie natürlich mit schwerem Herzen in ihrem Projekt unterstützt.
Dies zeigt sie zum Beispiel mit einem Talisman, der mit Jugenderinnerungen gefüllt wird und uns auf unserer Reise beschützen soll. Doch dies geht nicht ohne Verlust einher, denn jede Erinnerung, die wir in diesem Ritual mitnehmen, wird unsere Mutter umgehend vergessen. Bereits hier gilt es also abzuwägen, was uns in der Kindheit unserer Figur wichtig war und was wir lieber der Frau Mama überlassen, damit sie uns nicht vollends vergisst.
Auch wenn wir die junge Frau und ihre Familie bisher noch nicht kennengelernt haben, so sorgt bereits dieser Einstieg für ein melancholisches Gefühl und zeigt, wie verletzlich die Welt ist und wie wertvoll es sein kann, auch vermeintlich kleinere Erinnerungen zu bewahren. Haben wir das Haus verlassen, so beginnt direkt unser eigentlicher Roadtrip. Wir erkunden die Umgebung, schreiben unsere Gedanken zu allem möglichen nieder, fertigen Skizzen an, zeichnen verschiedene Geräusche wie die Musik einer Spieluhr auf oder führen Gespräche mit den Einwohnern dieser Welt.
In den Unterhaltungen stehen uns dabei immer unterschiedliche Fragemöglichkeiten zur Verfügung, die das Gespräch in eine bestimmte Richtung lenken. Wollen wir beispielsweise etwas über das Leben einer Person erfahren oder doch lieber wissen, wie sie über bestimmte aktuelle Themen denkt? Haben wir uns für eine Gesprächsrichtung entschieden, können wir jedoch, anders als in klassischen Rollenspielen mit ausufernden Dialogen wie beispielsweise Mass Effect, kein anderes Thema mehr ansprechen. Dies sorgt für einen gewissen Wiederspielwert.
In Summe trägt uns die Geschichte von SEASON: A letter to the future sehr gut durch das Spiel. Dadurch, dass unsere Hauptfigur selbst noch nie ihren Heimatort verlassen hat, ist die Welt auch für sie komplettes Neuland, was die Identifikation mit ihr stärkt. Hinzu kommt, dass vieles, was wir auf unserem Trip erleben, durchaus kryptisch präsentiert wird. Es gibt immer einiges an Potential für Interpretationen, was auch die junge Dame mehr als einmal in ihren Gedanken kundtut. Auch man selbst ertappt sich dabei, dass man zu manchen Themen mehr erfahren möchte und man auch nach Ende des Spiels noch weiter darüber nachdenkt.
Die rund sechsstündige Geschichte läuft in weiten Teilen linear ab. Etwa im zweiten Drittel erreichen wir dann aber ein sehr offenes Gebiet, das wir frei erkunden können. Hier kommt es teilweise dazu, dass wir bereits besuchte Orte später erneut aufsuchen müssen, um weitere Informationen für unsere Geschichte freizuschalten. Dies ergibt aber immer Sinn und fühlt sich nie nach Spielzeitstreckung an.
Wie gesagt ist die komplette Spielerfahrung sehr melancholisch, wird aber auch ab und zu von besonderen Passagen unterbrochen. So gibt es durchaus warmherzige Momente, aber auch sehr mysteriöse Abschnitte und an manchen Stellen hatten wir sogar ein durchaus mulmiges Gefühl. Die Emotionen werden bei SEASON also stets sehr gut transportiert.
Liebes Tagebuch
Alles, was wir auf unserer Reise aufzeichnen, können wir in unser Tagebuch eintragen. Dieses präsentiert sich als eine der großen Stärken des Spiels. Während sich in anderen Titeln mit integriertem Notizbuch wie der beliebten Uncharted-Reihe das virtuelle Büchlein nach und nach von selbst füllt, haben wir bei SEASON: A letter to the future ein Stück weit selbst Einfluss darauf, wie dieses gestaltet wird und vor allem, welche Dinge wir dort eintragen und damit auch für die Nachwelt erhalten möchten.
Zu allem, was die junge Dame auf ihrem Weg entdeckt, äußert sie ein paar Gedanken. Diese können wir frei auf der entsprechenden Doppelseite zur gerade erkundeten Umgebung anordnen und gegebenenfalls mit unseren eigenen, selbstgeschossenen Bildern oder den angefertigten Audioaufzeichnungen ergänzen. Wir selbst legen fest, ob wir eher alle Gedanken niedergeschrieben haben möchten oder lieber ein Fotoalbum anlegen. Haben wir ein paar dieser Fragmente platziert, so gilt diese Tagebuchseite als vollständig. Wir können jedoch weiterhin daran herumbasteln, um es möglichst ansprechend zu gestalten, beispielsweise mit dann freigeschalteten Zeichnungen, die die Seiten angenehm auflockern.
In den meisten Abschnitten, die wir erkunden, entdecken wir natürlich deutlich mehr, als wir im Tagebuch unterbringen können. Hier liegt es dann an uns, zu entscheiden, was genau wir für die Nachwelt überliefern wollen und was unserer Meinung nach nicht so wichtig ist. Dies ist ein sehr spannendes und erfrischend kreatives Konzept. Manche Themen wiederum nehmen eine eigene Doppelseite ein, so zum Beispiel die Begegnung mit einer mysteriösen Gruppierung, die wohl für Ordnung in der Welt sorgen möchte. Hier müssen wir bestimmte zum Thema zugehörige Objekte erfassen, was sich allerdings nicht sonderlich schwierig gestaltet, sofern wir die Umgebung gründlich absuchen.
Zwingend erforderlich ist die Befüllung unseres Tagebuchs tatsächlich nicht. Uns steht es jederzeit frei, weiterzuziehen, doch einen Großteil seines Gameplays zieht SEASON eben aus der genauen Erkundung und der Erstellung von Aufzeichnungen. Wer einfach nur durch das Spiel hetzt und nicht links und rechts schaut, der verpasst somit einen wesentlichen Teil. In Summe kommen durchaus Erinnerungen an andere Walking-Simulatoren und Adventures wie Everybody’s gone to the Rapture, Firewatch oder auch Life is strange auf.
Natürlich die Radfahrer
Die Welt von SEASON ist groß. So groß, dass wir zu Fuß eine ganze Weile mit Wandern beschäftigt wären. Um schneller vorankommen zu können, besitzt unsere Hauptfigur glücklicherweise ein Fahrrad. Auf dieses können wir uns jederzeit schwingen und somit auch größere Distanzen flott überwinden. Gut genutzt werden dabei die adaptiven Trigger des Dualsense-Controllers der PlayStation 5. Jeder Trigger steht dabei für ein Pedal, welches wir natürlich abwechselnd herunterdrücken müssen, um uns vorwärts zu bewegen. Haben wir mal Schwung aufgenommen, müssen wir nicht weiter aktiv werden.
Das ist auch gut so, denn gerade bei den Fahrrad-Passagen zeigt sich eine weitere Stärke von SEASON. Wir radeln durch sehr stimmungsvolle Landschaften voller wunderschöner Panoramen, die vom Spiel entsprechend in Szene gesetzt werden. Auch wenn sich überall der langsame Verfall der Welt zeigt, so erleben wir doch genügend schöne Momente, die uns zum Verweilen einladen. Sowohl auf dem Rad als auch zu Fuß zeigt sich die Steuerung zweckdienlich, jedoch stören hier ein paar Fehler bei der Kollisionsabfrage. Wenn wir unser Fahrrad an einem Steinhaufen rund einen Meter in der Luft parken, dann reißt uns das doch etwas aus der melancholischen Stimmung.
Mit offenen Augen
Optisch kann SEASON durch seine ansprechende Celshading-Optik überzeugen. Zwar haben die meisten Szenarien, die wir besuchen, eher den Charakter eines Stilllebens, jedoch passt dies auch sehr gut zur melancholischen Prämisse des Spiels. Positiv herausheben muss man die englischen Sprecherinnen und Sprecher, allen voran die unserer Hauptfigur, die ihren Job sehr gut machen. Das Spiel kommt dank kompletter Lokalisierung mit vollständig deutschen Texten daher, was sogar im Tagebuch einwandfrei umgesetzt ist. Auch können wir die Untertitel und die Gesprächsblasen in verschiedenen Schriftgrößen anpassen, ein klares Plus bei dem sehr auf Gespräche ausgerichteten Adventure.
Etwas ab fallen die Charaktermodelle, welche zwar ebenfalls im Celshading-Look präsentiert werden, jedoch außer Augenbewegungen meist keinerlei Regung zeigen. Zwar passt dies zur lethargischen Grundstimmung der Charaktere, ein paar angedeutete Lippenbewegungen wären jedoch sicherlich nicht verkehrt gewesen. Auf der weiteren technischen Seite haben wir ein weitestgehend flüssiges Spiel, welches ab und an mit kleineren Popups und leider öfter mit flackernden Schatten im Hintergrund zu kämpfen hat. Dies stört zwar nie das Spiel als solches, dafür jedoch manch idyllische Szenerie.
Fazit
SEASON: A letter to the future zeigt sich im Test als ein gelungenes, narratives Adventure, welches in einigen Aspekten richtig gut und originell daherkommt. Die Geschichte rund um die junge Frau, die in eine ihr unbekannte Welt hinauszieht, um Dinge für die Nachwelt aufzuzeichnen, ist stimmig präsentiert und überzeugt mit einer sehr melancholischen Grundstimmung.
Mir persönlich war die Melancholie teilweise schon fast etwas zu belastend und die Stimmung manchmal zu drückend, jedoch ist dies natürlich mein persönlicher Eindruck. Auf jeden Fall muss man sich auf die Stimmung und das Spiel einlassen, um das volle Spielgefühl zu erhalten. Einfach so im Vorbeigehen entfaltet SEASON eher wenig von seiner Faszination.
Als richtig gut gelungen empfand ich das Befüllen des Tagebuchs, in dem uns das Spiel selbst die Wahl lässt, welche auf unserem Roadtrip gesammelten Erinnerungen wir als wichtig erachten, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Ebenfalls viel Spaß hatte ich mit der Fortbewegung per Fahrrad, welche zwar sehr simpel daherkommt, aber dank der toll designten Spielwelt für eine angenehme Fortbewegung im Spiel sorgt.
Insgesamt ist SEASON: A letter to the future ein sehr gutes, ruhiges Adventure für Fans eines Life is strange oder diverser Walking-Simulatoren wie Everybody’s gone to the Rapture und somit definitiv einen Blick wert.
- Malerische Spielwelt
- Ansprechende Celshading-Optik
- Toll umgesetztes Tagebuch
- Emotionale, sehr melancholische Geschichte
- Frisches Konzept dank Fortbewegung mit Fahrrad
- Gute, englische Sprecher
- Optionen für Barrierefreiheit, beispielsweise größere Untertitel
- Kleinere Popups
- Flackernde Schatten
- Probleme bei der Kollisionsabfrage
Seit dem ersten Gameboy begeisterter Konsolenzocker. Neben Rennspielen, Action-Adventures und JRPGs sind auch Indie-Perlen gerne im Laufwerk gesehen. Zu den Lieblingsspielen gehören GTA Vice City, Metal Gear Solid, Overboard, Ys VIII, die Uncharted- und Forza-Horizon-Reihe sowie Gran Turismo 7.