Baldurs Gate 3 im Test: Lasst die Würfel rollen
Mit Baldurs Gate 3 ist es Larian Studios gelungen, so nahe an ein klassisches Pen & Paper heranzukommen, wie man das mit einem Computerspiel nur irgendwie schaffen kann. Alles komplett mit Würfelwürfen und ungewöhnlichen Lösungsmöglichkeiten. Was das Rollenspiel sonst noch so kann, erfahrt ihr im Test.
Nichts Neues und trotzdem unglaublich gut
Wer bereits Divinity 2: Original Sin gespielt hat, der fühlt sich vom Intro von Baldurs Gate 3 wahrscheinlich direkt abgeholt, denn auch hier erwachen wir als entführter Häftling auf einem (Flug-)Schiff. Der größte Unterschied ist, dass wir und alle anderen Gefangenen von Gedankenschindern, das sind cthulhuesque Humanoiden, einen Parasiten in den Schädel gepflanzt bekommen, der uns langfristig auch zu einem solchen Monster werden lässt. Unser Ziel ist also klar: Das Ding muss wieder aus dem Kopf raus. Nach einer waghalsigen Flucht finden wir uns in einer Zweckgruppe mit anderen Infizierten wieder und versuchen, mit diesen zusammen möglichst schnell Heilung zu finden.
Da es sich bei Baldurs Gate 3 um ein richtiges Rollenspiel handelt, das auch deutlich näher an den physischen Vorlagen wie Dungeons & Dragons ist als die meisten virtuellen Rollenspiele, haben wir keinen komplett linearen Verlauf. Und so stehen uns direkt nach der Flucht schon mehrere Wege offen und verschiedene Lösungsansätze für die Hindernisse zur Verfügung. Aber so wie richtige (weltliche) Gamemaster unerwartete Ereignisse einbauen, geraten wir auch in Baldurs Gate immer wieder in neue und teils absurde Situationen. So wird ein einfaches „die Straße entlang Laufen“ mal zu einer erbitterten Schlacht mit Vampiren, mal philosophieren wir mit Waldbewohnern über Religion. Einen entscheidenden Vorteil hat es aber, dass Baldurs Gate 3 doch ein Computerspiel ist und der wäre, dass wir jederzeit speichern und laden können. Dadurch kann man zum Beispiel sein Würfelglück erhöhen, beziehungsweise einfach so lange neu laden, bis man einen bestimmten Check schafft, oder auch plötzlichen und unliebsamen Situationen entkommen. Die Kreativität, was das Kombinieren von Fähigkeiten zum Lösen von Rätseln angeht, ist aber, trotz des festen Charakters eines virtuellen Spiels, kaum eingeschränkt. Wir wollen uns in ein kleines Tier verwandeln, um uns von einem Gruppenmitglied auf die andere Seite einer zerstörten Brücke werfen zu lassen? Kein Problem. Einen Gegner noch während eines Dialogs mithilfe von Gruppenmitgliedern bewegungsunfähig machen? Ebenfalls kein Problem. Einen Weg über ein Gewässer durch Einsatz eines Eiszaubers schaffen? Ich denke, ihr versteht, worauf das hier hinausläuft. Die Möglichkeiten sind nicht unbegrenzt, aber erstaunlich vielfältig.
Wir spielen mit virtuellen Würfeln
Die nötigen Skillchecks, die wir für verschiedene „Events“ wie das Finden von Fallen benötigen, passieren in der Welt einfach komplett automatisch. Es wird ein kurzer Würfelwurf über den Köpfen der jeweiligen Charaktere simuliert und uns mitgeteilt, ob wir erfolgreich waren oder nicht. Dabei reicht ein gelungener Check eines Charakters, um das Geheimnis für alle aufzudecken. In Dialogen erhalten wir ein dediziertes Fenster und dürfen per Klick noch selbst den zwanzigseitigen Würfel in Bewegung setzen. Zusätzlich wird uns hier auch angezeigt, welchen Wert wir erreichen müssen, welche Boni wir haben und können gegebenenfalls sogar noch Boni durch Gegenstände hinzufügen. Teilweise weisen uns Dialogoptionen auch darauf hin, dass wir einen Skillcheck damit auslösen und auf welche Eigenschaft sich dieser bezieht. Auch dieser Aspekt trägt zur Immersion eines physischen Rollenspiels bei.
Manchmal gibt’s auf’s Maul
Aber was wäre ein Rollenspiel ohne den einen oder anderen Kampf gegen Wachen, Diebe, Ziegen, Schafe, Hühner oder das ultimative Böse (wenn es nicht eh schon das Schaf war). Baldurs Gate 3 wechselt hier in einen rundenbasierten Spielmodus. Jeder Charakter kommt nacheinander an die Reihe und kann dann eine Aktion und eventuelle Bonusaktionen ausführen. Hauptaktionen sind zum Beispiel ein Schwerthieb, Bogenschuss oder Zauber und Bonusaktionen hängen stark von der jeweiligen Klasse und den Charaktereigenschaften ab, die Reihenfolge beim Einsetzen ist frei. Die Aktionen werden pro Kampfrunde wieder aufgefüllt, besondere Slots wie Zauber erst bei einer Rast. Auch im Kampf lassen sich Optionen sehr kreativ nutzen und kombinieren. Die Reihenfolge wird durch initiales Auswürfeln der Initiative bestimmt. Sollten mehrere unserer spielbaren Charaktere nacheinander am Zug sein, können wir diese in beliebiger Reihenfolge oder auch durcheinander ausführen. Zusätzlich kann ein Charakter noch laufen, dabei zeigt uns eine Leiste die mögliche Laufweite, die nicht auf einmal verbraucht werden muss. Wichtig im Kampf ist natürlich auch die Ausrüstung beziehungsweise Bewaffnung. Wir sind erstmal frei, jedem Charakter jedes Item anzulegen. Wenn dieser aber nicht damit geübt ist, dann erhalten wir Mali. Andersrum schalten wir neue Aktionen frei, wenn eine gewisse Erfahrung mit der Item-Klasse besteht. Ganz typisch werden die Trefferquote und eventueller Schaden ebenfalls ausgewürfelt.
Im Lager kommt man sich näher
Außerhalb von Kämpfen können wir jederzeit in unser Lager wechseln. Hier dürfen wir unsere Party neu zusammenstellen, da diese aus maximal vier Charakteren bestehen kann. Auch ist es hier möglich, gefallene Kameraden wieder auferstehen zu lassen oder bei Händlern Ausrüstung zu erstehen. Und natürlich können wir mit verschiedensten Charakteren Gespräche führen. Dadurch erfahren wir viel über deren Motivation, erhalten neue Nebenmissionen oder können tiefere Bande knüpfen — oder einfach auch nur rasten, um unsere Ressourcen zu regenerieren.
Aller Anfang ist schwer
Bevor wir in das eigentliche Spiel starten, werden wir vom sehr umfangreichen Character Creator empfangen, der uns schon einige Stunden kosten kann, uns dann aber mit dem ästhetischsten aller Recken belohnt (oder dem genauen Gegenteil, wenn man es darauf anlegt). Die Lernkurve in Baldurs Gate 3 ist reicht steil, vor allem, wenn man die Vorgängerspiele von Larian Studios nicht kennt oder ein Neuling in Pen-&-Paper-Rollenspielen ist. Es gibt zwar „Pop-up-Tutorials“, diese kommen aber teilweise zu spät oder erst bei einer erneuten Nutzung einer Mechanik. Das schlägt sich auch schon im Creator nieder, denn wir wissen zunächst gar nicht unbedingt, was die einzelnen Klassen und Rassen wirklich bewirken.
Fast so schön wie die Fantasie
Neben der guten Umsetzung des Spielsystems ist auch die optische Darstellung wahrlich gelungen. Die Welt ist imposant und die Szenerie fängt uns vom ersten Moment an ein. Die Kamera ist in einer isometrischen Ansicht fixiert, sie lässt sich aber drehen, wobei die Perspektive gleich bleibt. Wände werden durchsichtig, um die Sicht nicht zu blockieren. Sobald man hinein zoomt, werden unglaublich viele Details angezeigt, die bei einer niedrigeren Zoomstufe zugunsten der Übersichtlichkeit ausgeblendet werden. Für besondere Situationen wie Kämpfe kann man noch eine spezielle Taktikansicht benutzen, die uns den Blick aus der komplett vertikalen Vogelperspektive ermöglicht.
Fazit
Wenn man es bis jetzt nicht eh schon gemerkt hat, dann hier nochmal explizit: Mich hat Baldurs Gate 3 wirklich von den Socken gehauen. Die Details, mit denen das Erlebnis eines Rollenspiels nachgebildet wurde, sind wirklich gut und schaffen eine ganz neue Immersion. Ich musste mich lediglich zusammenreißen, das verfügbare Schnellspeicher/-lade-Feature nicht zu übertrieben zu benutzen und das Spiel quasi „optimal“ durchzuspielen. Nur die steile Lernkurve der Bedienung und die teilweise Orientierungslosigkeit durch die Kamerasteuerung haben mich ab und zu aus meinem Abenteuer gerissen. Für jeden, der auch nur halbwegs ein Fan von Rollenspielen ist, kann sich ein Blick in diesen Überraschungshit durchaus lohnen.
- Immersives Spielsystem
- Kreative Lösungsmöglichkeiten werden unterstützt
- Tiefe Story der einzelnen Charaktere
- Würfelmechanik
- Steile Lernkurve
- Kamerasteuerung kostet manchmal etwas Übersicht
- Situationen eskalieren recht schnell
Hat seit dem Gameboy jede Handheld-Generation ausgiebig genutzt. Es stehen vorallem Coop- und Multiplayer-Spiele hoch im Kurs.