Anno 1800 im Test: Glänzt das Meisterwerk auch auf der Konsole?

Bereits im April 2019 kam mit Anno 1800 der neuste Teil der beliebten Aufbau-Reihe von Ubisoft auf den Markt. Fast vier Jahre und einige DLCs später schlägt das hochgelobte Städtebauspiel mit Fokus auf der industriellen Revolution nun auch auf der Konsole auf. Ob es auch hier überzeugen kann, verraten wir euch im Test.

Ein passendes Spielerlebnis schaffen

Bevor wir uns an die Arbeit machen können, müssen wir uns zunächst entscheiden, ob wir die Kampagne von Anno erleben oder direkt mit dem freien Spiel loslegen wollen. Erstere mündet aber nach Abschluss der Geschichte ohnehin ins freie Spielerlebnis, sodass wir hier in den Genuss beider Spielmodi kommen. Im Anschluss legen wir fest, ob wir unser Städtebau-Abenteuer mit dem vollen Umfang an Hilfestellungen und Tipps erleben möchten oder, ob wir uns lieber direkt ins kalte Wasser werfen lassen. Daher kommen sowohl Anno-Veteranen als auch Neueinsteiger auf ihre Kosten und können ein zu ihren Bedürfnissen passendes Spielerlebnis wählen. Im nächsten Schritt entscheiden wir uns für eines von 15 sofort verfügbaren Avataren, um unserer wahlweise weiblichen oder männlichen Spielfigur ein passendes Aussehen zu verleihen. Weitere elf Charaktere lassen sich im Spielverlauf durch verschiedene Errungenschaften oder auch über Ubisoft Connect freischalten. Die Verbindung mit einem Ubisoft-Konto gewährt uns außerdem Zugriff auf drei zusätzliche Logos, die sich zu den 31 übrigen, frei wählbaren, Vorlagen gesellen. Das Symbol steht sinnbildlich für unsere Dynastie und kann entsprechend unserer Vorlieben und Gesinnung ausgesucht werden, von Totenköpfen und Waffen, über Drachen und andere Kreaturen, bis hin zu Ornamenten, Ranken oder Bäumen.

Als letzte Amtshandlung, bevor es losgeht, müssen wir unserer Figur noch einen passenden Namen verpassen, hier dürfen wir bei Bedarf aber auch auf zufällige Vorschläge zurückgreifen. Damit die Herausforderung in Anno 1800 am Ende auch unseren Vorstellungen entspricht, stehen drei verschiedene Schwierigkeitsgrade zur Auswahl, die sich in unterschiedlichen Bereichen unterscheiden. Je höher die Schwierigkeitsstufe, umso kleiner sind Startkapital und Einfluss, außerdem fallen die Größe der Welt und auch die dort vorhandenen Erzvorkommen sowie die Fruchtbarkeit der Böden bei höherem Level geringer aus. Darüber hinaus erhalten wir auf den höheren Stufen weniger oder keine Erstattung der Baukosten beim Abriss und müssen außerdem eine Gebühr für Gebäudeverschiebungen bezahlen oder gänzlich auf diese verzichten. Wer bei den vorgegebenen Schwierigkeitsgraden nicht fündig wird, hat im Übrigen auch die Chance, individuelle Einstellungen vorzunehmen und so einen maßgeschneiderten Rahmen zu schaffen, bei dem wir auch unsere Rivalen, die Fraktionen in der Welt oder die Siegbedingungen anpassen dürfen. Manche Einstellungen lassen sich hierbei aber nur für das freie Spiel und nicht für die Kampagne verändern.

Eine Rückkehr wider Willen

Nach einer kurzen Introsequenz erfahren wir, dass wir unsere gut betuchte Familie vor vielen Jahren verlassen haben, um uns in die neue Welt aufzumachen. Nun, da unser Vater tot ist, versucht unser Onkel Edvard das Erbe und den ehemals guten Ruf der Dynastie an sich zu reißen und uns als rechtmäßigen Nachfolger aus dem Verkehr zu ziehen. Aus diesem Grund hat uns unsere Schwester gebeten, nach Hause zurückzukehren, um das Ansehen der Familie wiederherzustellen und die Geschäfte im Sinne unseres Vaters fortzuführen. Da wir nach unserer Rückkehr keinen Zugriff auf das Familienvermögen haben, bleibt uns zunächst nichts anderes übrig, als auf einem verlassenen Eiland in der Nähe unserer Heimat einen Neuanfang zu wagen und uns Schritt für Schritt nach oben zu arbeiten. Auf diese Weise verbessern wir nach und nach unsere finanzielle Situation, unseren Ruf und damit auch unseren Einfluss, um unserem Onkel Konkurrenz zu bescheren und ihn damit schrittweise aus dem Weg zu räumen. So gilt es zunächst, eine Lebens- und Arbeitsgrundlage für uns und unsere Gefolgsleute aufzubauen, um eine stabile Grundlage für alle weiteren Pläne zu schaffen. Glücklicherweise haben wir noch einen Grundstock an Rohstoffen mit im Gepäck, um die Basis-Infrastruktur unserer Siedlung anlegen zu können. Ist dies geschafft, sorgt ein gut strukturierter Abbau der vorhandenen Rohstoffe für volle Lager und gute Bau- und Lebensbedingungen innerhalb der neu entstandenen Gemeinschaft.

Unsere Aufgaben gehen dabei übrigens auch deutlich über das schlichte Bauen von Objekten und Verarbeiten der vorhandenen Ressourcen hinaus. So haben unsere Bewohner zum Beispiel verschiedene Wünsche und Bedürfnisse, die wir erfüllen müssen, um die Siedlung zu vergrößern. Aber auch das Management kleinerer Dinge, vom Anlegen großflächiger Felder und Gehege für Höfe jeder Art bis hin zum Beschaffen passender Arbeitskleidung für unsere Bewohner, gehört zu unserem Arbeitsfeld. Weiterhin kümmern wir uns auch immer wieder um das Entmüllen der verwilderten Insel, indem wir Hinterlassenschaften aus längst vergangenen Zeiten entfernen, dadurch neuen Raum für unsere Bauvorhaben erschließen und die Stadt gleichzeitig attraktiver machen. Außerdem liegt es an uns, diplomatische Beziehungen zu unterschiedlichen KI-gesteuerten Fraktionen zu führen, um Voraussetzungen für Handel zu schaffen sowie Allianzen in Krieg und Frieden zu schmieden und so das langfristige Überleben unserer Dynastie zu sichern. Dabei entwickelt sich unsere Siedlung auch immer weiter und durchläuft verschiedene Stadien, vom beschaulichen Dorf bis hin zur imposanten Stadt. Hinzu kommen kleinere Aufgaben, die wir für Außenstehende erledigen müssen, wie zum Beispiel die Lieferung vorgegebener Waren an externe Auftraggeber wie unseren verhassten Onkel, der damit unsere angebliche Schuld ihm gegenüber begleichen will. Schön ist auch, dass wir uns nicht immer nur im klassischen Management-Szenario befinden, sondern im Rahmen bestimmter Quests auch mal ganz andere Dinge tun müssen, wie zum Beispiel die Karte nach aufständischen Arbeitern zu durchforsten, die sich gegen unseren Onkel auflehnen, und diese entsprechend zu markieren. Auf diese Weise ist im Verlauf der Kampagne immer wieder für Abwechslung gesorgt und wir haben außerdem die Chance, uns detaillierter mit anderen Bereichen der Karte auseinanderzusetzen und zahlreiche sehenswerte Areale zu bewundern.

Die Aufbau-Sim funktioniert auch auf der Konsole hervorragend

Eine Frage, die sich gerade bei Konsolenumsetzungen von Aufbau- und Strategiespielen immer wieder stellt, ist die nach der Bedienbarkeit und Steuerung mit dem Controller. Diese wird von Ubisoft schon im kleinen Intro, in dem wir mit unserem mikrigen Kutter auf dem Weg in die alte Welt sind, hinreichend beantwortet. Egal, ob es um die Steuerung verschiedener Einheiten, um das Abrufen von Informationen zur Umgebung oder einfach um das Überfliegen der Spielwelt geht, sowohl die Bewegung an sich als auch das Management der Karte, vom Zoomen bis hin zum Auswählen markanter Orte, geht intuitiv und ohne Probleme von der Hand, sodass wir zu keiner Sekunde Maus und Tastatur vermisst haben. Auch das Baumenü, das uns verschiedene öffentliche und private Gebäude, Lager- und Produktionsstätten oder auch Wege und komplette Produktionsketten anlegen lässt, geht dank übersichtlicher Kreismenüs wie von selbst. Hier steht uns im Laufe der Geschichte eine Vielzahl an Bauten unterschiedlicher Kategorien zur Verfügung, wodurch wir ein vielseitiges Stadtbild kreieren können, unter anderem mit markanten Eckpfeilern wie Marktplatz, Wirthäusern, Holzverarbeitungsbetrieben oder Fischerei. Die griffige Steuerung zeigt sich aber auch bei den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Verwaltung unserer Siedlung, die unter anderem detaillierte Statistiken und Informationen zu unserem Einfluss oder auch Details zur Aufteilung der Spielwelt, zu diplomatischen Handlungsoptionen oder zu unseren aktuellen Aufgaben liefern. Diese lassen sich ebenfalls mit wenigen Handbewegungen über ein gut strukturiertes Schnellmenü abrufen, sodass wir alle wichtigen Gameplayaspekte stressfrei im Auge behalten und unsere Aufgaben erledigen können. Weiterhin hält das Spiel auch praktische Werkzeuge zum Kopieren, Abreißen, Bewegen oder Verschönern unserer Bauobjekte bereit, die den Ausbau und die Anpassung unserer Stadt auch auf der Konsole komfortabel und leicht wirken lassen. Lediglich die etwas ungünstig platzierten Dialogboxen, die kurzzeitig Teile bestimmter Menüs überdecken, verleihen der ansonsten überzeugenden Steuerung gerade zu Beginn des Abenteuers einen kleineren Makel. Sehr gut gefallen haben uns dagegen die kurzen Tutorialaufgaben, die uns die Besonderheiten der Steuerung kurz und bündig erklären und im Anschluss mit einer angemessenen Zahl an Wiederholungen verinnerlichen lassen, ohne dass sie dabei als störend wahrgenommen werden.

Ein stimmungsvoller Ausflug in die Zeit der industriellen Revolution

In Sachen Atmosphäre lässt Anno 1800 keine Wünsche offen. Sowohl die dicht bebauten Industrieareale mit ihren rauchenden Schornsteinen und belebten Straßen als auch die unberührte verwilderte Natur, die uns bei unserer Ankunft auf der Insel erwartet, können in Sachen Präsentation und Stimmung rundum überzeugen. Auch die detailliert gestalteten Bauwerke, bei denen mehrere Objekten des gleichen Typs niemals genau gleich aussehen, sondern kleine Unterschiede in der Anordnung und dem Erscheinungsbild der Dekorationen erkennen lassen, sind eine echte Augenweide. Dies gilt auch für die dichten Wälder und grünen Wiesen, die sich sichtbar im Wind bewegen, sowie für die schäumenden Wellen an der Küste, die das raue Meer hervorragend in Szene setzen. Wer die Schönheit der Spielwelt übrigens in voller Pracht erleben will, kann jederzeit zur großartigen Postkartenansicht wechseln und die Landschaft um sich herum aus einer speziellen Perspektive heraus bewundern.

Grafisch muss sich Anno 1800 insgesamt keinesfalls verstecken. Egal, ob es um den atmosphärischen Lichteinfall zu unterschiedlichen Tageszeiten, um die großartige Darstellung von Wasseroberflächen wie der tosenden See mit realistischer Gicht und Wellenbewegung oder um den sichtbaren Smog über den Industriearealen geht, der deutlich die Schattenseiten der Industrialisierung zeigt, das Aufbauspiel präsentiert sich in jedem Fall von seiner besten Seite. Dabei reicht der Realismus bis hin zu winzigen Umgebungsdetails, sodass beispielsweise auch unterschiedliche Beschaffenheiten einzelner Bodendielen erkennbar sind, die dadurch eine authentische Holzoptik erhalten. Aber auch Elemente wie Rost und Schmutz auf zahlreichen Dächern oder unterschiedliche Formen der Rauchentwicklung über den Schornsteinen, abhängig davon, was dort verbrannt wird, können bei der Optik herausgestellt werden. Gerade aufgrund der Tatsache, dass bei der Simulation sehr viel Wert auf grafischen Feinschliff gelegt wurde, ist es etwas schade, dass wir nicht sehr nah an das Geschehen heran zoomen können, um noch mehr Feinheiten zu entdecken. Die Spielwelt schreit förmlich danach, von uns untersucht und genaustens unter die Lupe genommen zu werden, bleibt aber wegen der recht hohen Distanz der Kamera immer etwas unnahbar. Dies wird noch deutlicher, wenn uns die Entwickler in einigen Videosequenzen auf den einen oder anderen Kameraflug mitnehmen und hierbei ein gutes Stück näher an den Objekten am Boden sind, als es uns im eigentlichen Spiel erlaubt ist. Ebenfalls etwas störend ist die gewählte Form der Charakterdarstellung in den kleineren Dialogclips, die ständig auf dem Bildschirm erscheinen. Nicht nur, dass die leicht comichafte und karikaturartige Optik der Figuren so gar nicht zu der auf Realismus getrimmten Umgebung passen will, auch deren Mimik und vor allem die Lippensynchronität lassen doch einiges an Luft nach oben.

Ergänzend zur gelungenen Gestaltung setzt Anno 1800 bei der Kampagne außerdem auf Elemente wie Zeitungsausschnitte oder animierte Kommentare wichtiger Charaktere, die regelmäßig am oberen Bildschirmrand auftauchen, um der Story Leben einzuhauchen. Dies funktioniert trotz der anfänglich etwas gewöhnungsbedürftigen comichaften Darstellung der Figuren durchgehend sehr gut und sorgt dafür, dass wir den Handlungsrahmen und die Hauptdarsteller zwischen den zahlreichen Aufgaben nicht vergessen. Abgerundet wird die fast makellose Präsentation durch einen hochwertig produzierten klassischen Soundtrack, der die typische melancholische Stimmung zur Zeit der industriellen Revolution perfekt einfängt. Schön ist auch, dass auf den Straßen sowie auf den unterschiedlichen Grundstücken immer jede Menge Trubel herrscht, wodurch ein authentischer Alltag dargestellt wird. So beobachten wir einerseits die Einwohner bei ihren täglichen Aufgaben und Erledigungen, dürfen uns aber auch auf kleinere Details wie aufdringliche Tauben auf dem Marktplatz, sichtbare Gestik und Mimik bei Dialogen zwischen verschiedenen Personen oder auch auf freilaufende Katzen, Hühner oder Hunde freuen. Alles in allem präsentiert sich Anno 1800  als unglaublich detailverliebt und schafft es so, eine Spielwelt zu kreieren, die weit mehr als nur eine Kulisse für den Aufbau unserer Stadt ist. Mit Hinblick auf den Konsolenrelease haben wir uns im Vorfeld gefragt, ob vielleicht auch die zahlreichen Möglichkeiten des DualSense genutzt werden, um auf der PS5 noch tiefer in die Welt eintauchen zu können. Hier haben sich die Entwickler leider entschieden, außer einem farblichen Wechsel der LED-Leiste gar keine Funktionen zu nutzen. Dabei hätten sich für das Spiel gerade in Sachen Vibration einige Dinge angeboten, zum Beispiel, um die Bewegung der Wellen oder das rege Treiben auf dem Marktplatz spürbar zu machen, was dank der vielseitigen Vibrationseffekte des PS5-Controllers mit Sicherheit sehr schön funktioniert hätte. Zwar gibt es beispielsweise beim Bauen von Objekten oder beim Herauszoomen aus der Region ein kurzes haptisches Feedback, dies bleibt aber komplett eindimensional und spielt eigentlich nicht wirklich eine Rolle.

Fazit:

Der Konsolenrelease von Anno 1800 macht mal wieder eines deutlich: wenn man sich Mühe gibt, funktionieren auch prädestinierte PC-Spiele hervorragend mit dem Controller. Ubisoft hat das gesamte Handling der Menüs und der Bewegung innerhalb der Welt in Perfektion auf die Controllersteuerung zugeschnitten und lässt uns in keinem Moment Maus und Tastatur vermissen. Dadurch können wir nun auch bequem von der Couch aus eines der besten Städte- und Aufbauspiele aller Zeiten erleben und uns in einer atmosphärischen und bis ins kleinste Detail liebevoll gestalteten Spielwelt mit unzähligen Handlungsoptionen austoben. Die unendlich erscheinenden Möglichkeiten von Anno 1800 haben auch nach vier Jahren nichts von ihrer Faszination verloren, ebensowenig wie die stimmungsvoll inszenierte Kampagne mit ihren schrulligen Charakteren, an deren comichafte Darstellung wir uns aber auch nach all der Zeit noch nicht richtig gewöhnt haben. Was ich allerdings richtig schade finde, ist das fast komplette Außenvorbleiben der DualSense-Funktionen, denn hier hätte man die ohnehin schon großartige Atmosphäre mit wenig Aufwand wirklich greifbar machen und ein noch intensiveres Spielerlebnis auf der PS5 schaffen können. Dennoch ist Anno 1800 nichts anderes als ein Strategie-Meisterwerk, egal, auf welcher Plattform wir unser Imperium zur Zeit der industriellen Revolution aus dem Boden stampfen wollen.